Montag, 22. März 2010
W187-SY2/3: Eine Fahrt durchs christliche Syrien und ein neuer Kontinental- und Länderpunkt
Al-Jaish Dimashq (الجيش الدمشقي) - Kazma Kuwait (الكويتي كاظمة)
Mittwoch, 24. Februar 2010 - Anstoßzeit 15.00
AFC Cup (1. Runde, Gruppe C, 1. Spieltag/ 1. Syrische Profi-Liga gegen 1. Kuwaitische Profi-Liga)
Ergebnis: 0:1 nach 95 Min. (47/48) - Halbzeit 0:0
Tor: 0:1 60. Fahad Al-Fahad Al-Hamad
Verwarnungen: Tariq Djiban (Al-Jaish), Nasser Al-Wahib, Abdallah ad-Dashty (Al-Kazma)
Platzverweise: 78. Khalid Ash-Shamry
Spielort: Malaab Al-Abasiyyin (ملعب العباسيين, Kap. 30.000 Sitzplätze)
Zuschauer: ca. 13.000 (davon max. 10 Gästefans)
Spielqualität: 6,0/10 (Technisch gut und engagiert, hab aber schon deutlich besseres gesehen)
Sightseeing: 9,0/10 (So Klöster findet man so schnell kein zweites Mal – außerdem: tolle, schroffe Berglandschaften)
Photos:
DAMASCUS: http://www.flickr.com/photos/fchmksfkcb/sets/72157623526378867/
THE MONASTERIES: http://www.flickr.com/photos/fchmksfkcb/sets/72157623526872063/ FOOTBALL: http://www.flickr.com/photos/fchmksfkcb/sets/72157623651615310/
Nach vier Stunden Flug landeten wir dann endlich auf dem internationalen Flughafen, der über 20km vor den Toren der syrischen Hauptstadt liegt. Der erste Eindruck war natürlich der eines Militär- und Polizeistaates mit unfreundlichen Zöllnern und Militärs am Flughafen, die einem nicht einmal kostenfrei am Straßenrand parken lassen. Viel freundlicher dann schon der Kerl von Europcar, der uns einen landestypischen Wagen – einen abgenutzten Nissan der mit seiner schwammigen Lenkung bei 110 km/h zu flattern beginnt, ohne ABS, einer echt bescheuerten Startfunktion (Schlüssel rein, Lenkradsperre raus, Schlüssel nach hinten drehen, auskuppeln, Gang raus, dann Schlüssel nach vorne drehen) und einem beim Volltanken stets überlaufendem Tank – gab.
Schon gegen vier Uhr morgens fanden wir uns auf dem Damaszener Hausberg, dem Djebel Qassiyoun, wieder, wo es gleich die nächste Militärstaatserfahrung gab: überall Schilder „Military Zone. No entrance. No cameras.“ die sich allerdings nur auf unwegsame Gebiete neben ganz normalen Landstraßen beziehen. Die Schilder vermitteln aber den Eindruck, als ob man selbst auf so einer gesperrten Strecke unterwegs sei. Die ersten Tourismuserlebnisse kamen dann durch den kleinen Jungen, der uns erst einmal zu teure Getränke verkaufte und dann noch eine Weile handeln wollte, dabei aber nie heftig aufdringlich oder irgendwie unfreundlich wurde. Vom Qassiyoun aus hat man rund um die Uhr einen tollen Blick auf die syrische Hauptstadt, was der Grund für die recht regen Handelsaktivitäten dort ist. Man kann aber auch, wo die Straße flacher und breiter wird, in Ruhe im Auto schlafen, doch wo die ersten Händler stehen natürlich nicht mehr – und wo sie am Ende der Straße nicht mehr stehen, da sind militärische Anlagen in Sichtweite, weswegen man sich dort niemals aufhalten sollte.
Als die Sonne aufgegangen war, fuhren wir über den Qassiyoun weiter durchs nördliche Damaszener Stadtviertel Barzeh, was ein völlig heruntergekommenes Dreckloch ist und durch schöne aber kahle Bergwelten bis nach Seydnaya. Dieser Ort hat viele Kirchen zu bieten und ein Kloster, da die Mehrheit der Einwohner Christen sind. Im Kloster, was recht modern gestaltet ist und dessen verschachtelter Treppenaufgang als erstes auffällt, kann man nur einen Teil der Räume besichtigen, da der Klosterbetrieb noch aufrecht erhalten ist. Es gibt zwar auch nicht wenige Plattenbauten im Ort, doch einige Häuser zeugen vom Reichtum der Einwohner.
Ähnliche Verhältnisse gelten auch in Maa’lula, was man über unspektakuläre Wege am Fuße der Berge (das Schlussstück in den von hohen, schroffen Felsen umgebenen Ort ist natürlich dann richtig gut), wo fast 70% der Einwohner Christen sind: deshalb steht es auch zwei Moscheen gegen 10 Kirchen und zwei Klöster. Das Kloster der Heiligen Thekla ist direkt unter einer Felswand gelegen und hat lauter verschachtelte Räume und Höfe. Hoch über dem Kloster thront auch noch eine Heiligenfigur. In einer Bäckerei aßen wir dann noch kleine arabische Pizzas für je 15 Cent.
Verlässt man Maa’loula, wo man sich mit manchen Leuten auf Neu-Aramäisch unterhalten kann, werden die Straßen immer spektakulärer und schrauben sich auch über die Höhe des Ortes herauf. Durch den reichen Ort Yabroud, in dem es viele kitschige Villen gibt, fährt man nur kurze Zeit nach An-Nabk, was eine völlig unübersichtliche Kleinstadt ist. Die einfachere Suche ist nach dem Weg zum Dayr Mar Musa Al-Habashy: irgendwo nach Osten in Richtung Palmyra (Tadmor) raus und wenn die spektakulären Schluchten kommen, mal darauf achten, dass die schmale Straße ohne Leitplanken an den Abgrund gebaut ist. Nach ein paar Kilometern kommt ein Abzweig nach links, wo man dann auf einem Parkplatz mit guter Infrastruktur ankommt. 15 Minuten brauchten wir für die steilen Treppen, die spektakulär an der Wadi-Schlucht entlang geführt sind, und dann standen wir am alten Kloster, wo einige junge Leute aus Polen, Frankreich und Spanien bei den freundlichen syrischen Mönchen saßen. Man muss eine enge Treppe hinab gehen und dann eine wacklige aber sichere Metallbrücke überqueren, um auf die andere Seite der Schlucht zu kommen, wo das neue Kloster steht. Dies ist mittlerweile auch fast fertig gestellt und zeigt im Übrigen auch deutlich, wie falsch die Behauptung, dass in muslimischen Ländern keine anderen religiösen Stätten erbaut würden – es sind halt nicht alle so rückständig wie Saudi-Arabien oder Ägypten, wobei es in letzterem Land in manchen vergangenen Jahrhunderten einfacher war, als Minderheit in muslimischen Gebieten seine Religion auszuüben – ist.
In An-Nabk hatten wir dann die schwerere Aufgabe, nämlich die Autobahnauffahrt zu finden, nach einer Viertelstunde gelöst. In Damaskus parkten wir uns dann nach ein bisschen Sucherei neben irgendeinen Teil des Neuen Marktes (Souq Al-Djadid) und liefen nicht mal einen Kilometer bis zum Abbasiden-Stadion.
Seit wahnsinnigen 52 Tagen hatten wir kein Fußballspiel mehr auf dem Platz oder im Stadion erlebt. So mancher Ausfall (Tiefschnee ab 20cm oder völlig vereist) mag ja berechtigt gewesen sein, doch viele der Spielausfälle waren völlig unnötig. Ich erinnere an das Spiel in Pfiffelbach auf 10cm Schnee am 2.1.2010 oder eine Partie auf vereistem Dorffußballplatz in Weißenschirmbach 2004. In Damaskus fällt ab und an auch mal Schnee, doch dieser Winter war recht mild. Jetzt zum Ende der unschönen Jahreszeit war so wie so kein richtig schlechtes Wetter mehr zu erwarten. Also stand der Partie im Asian Football Confederations Cup nichts weiter im Wege.
Al-Jaish (= Die Armee) ist so ziemlich der unbeliebteste Club in Syrien, da er ähnlich bevorteilt wurde, wie einst der BFC Dynamo in der DDR: im Zweifel pfiff jeder Schiri für den Armeesportverein und die Klubführung, die vor allem aus Generälen der syrischen Armee besteht, kaufte jeden talentierten Spieler weg. Seit Einführung der Profiliga wurde dem zum Glück von Regierungs- und Verbandsseite ein Riegel vorgeschoben, was einen Absturz ins Mittelmaß der ersten Liga zur Folge hatte. Letzte und diese Saison spielen sie wieder besser, wenn auch viel sauberer und mit weniger finanziellen Mitteln als noch vor sechs Jahren. Die Zuschauerzahlen sind übrigens so gering wie seit Jahren schon: der Durchschnitt bei etwas über 1.000 Besuchern pro Heimspiel. Damaskus ist halt Al-Wahda – die anderen Vereine haben keine große Fanszene.
Heute stand das erste Spiel im AFC Cup (Asian Football Confederation’s Cup 2010), den man mit der früher UEFA-Cup genannten „Europa Liga“ vergleichen kann, an. Syrien hat drei Starter bei diesem Wettbewerb: direkt Al-Ittihad Halab als Vizemeister und Al-Jaish Damaskus als Dritter, Meister Al-Karameh Homs schied im wichtigsten Vereinswettbewerb – der AFC Champions League, die sie vor vier Jahren fast gewannen (sie scheiterten erst im Finale knapp) – bereits in der 1. Runde aus, weswegen sie nun auch im AFC-Cup ran dürfen. Der Gegner für den Damaszener Armeesportverein hieß heute Kazma Kuwait, die nach der historischen Region im Norden des Staates Kuwaits, die seit der Steinzeit besiedelt und schon in vorislamischer Zeit wirtschaftlich und politisch bedeutend war und außerdem 633 oder so eine von Khalid ibn al-Walid erfolgreich gestaltete Schlacht gegen die Perser erlebte, benannt sind und die kuwaitische Liga als 2. hinter Al-Qadisiyya abschlossen. Kazma spielt aber übrigens nicht in dieser Region Kazma, sondern wie alle anderen Vereine auch in der Hauptstadt (und dort speziell im Stadtteil ’Adiliya), da 96% der Einwohner in Kuwait-Stadt leben und es außerhalb der Kapitale ohnehin nur Fabrikansiedlungen und Farmen und so was gibt – zumindest noch: solange die Planstadt Madinat al-Hareer nicht steht, die in der Nähe zum Irak bereits im Bau ist. Beide Mannschaften stehen in ihrer jeweiligen Liga in der aktuellen Saison unter den ersten Vier.
Al-Jaish spielt entweder im Al-Fayha` Stadion oder im Al-Abbasiyyin, welches nach den Abbasiden, einer islamischen Herrscherdynastie (750-1258, ab ca. 950 jedoch politisch zersplittert und unbedeutend), die von Bagdad aus regierte, benannt wurde und im gleichnamigen, von sozialistischer Architektur zugestellten Stadtteil (könnte auch nur eine Siedlung sein: die Begriffe „Stadtteil“ und „Siedlung“ verschwimmen da ziemlich) von Damaskus steht. Heute fanden sich dort über 10.000 Zuschauer ein, was für Al-Jaish eine enorme Zahl ist. Doch auch Fans von Al-Wahda und Al-Karameh brauchten ihr orange-schwarz-weiß bzw. orange-blau neben das schwarz-weiß-rot vom Armee Club ein. Wir bekamen nach dem Imbiss-Essen vorm Stadion Bescheid, dass Karten heute gar nicht nötig sind: freier Eintritt für den AFC-Cup! An Gästefans aus Kuwait waren nur ein paar wichtige Leute in weißen Gewändern zu sehen. Da waren ja sogar mehr Frauen als Kuwaitis da, wenn auch kaum ein Prozent der Zuschauer – und die auffälligste und hübscheste war die Fernsehmoderatorin am Spielfeldrand.
Armeeangehörige können übrigens auch in Syrien mal freundlich sein. Man braucht nur zum Verein Al-Jaish zu gehen. Man wird nur sehr locker oder gar nicht kontrolliert und mit Schulterklopfen und Handschlag ins Stadion gebeten. Wir hatten uns am Rande des Al-Jaish Fanblocks (Heimfanblöcke sind meist links vom Ehrensektor der Haupttribüne zu finden, Gästesektoren rechts, da diese drei Bereiche meist als einzige Überdacht sind: für den mittleren Sektor (VIP) zum Schutz vor Regen und für die Fans wegen des Schalldeckels) positioniert. Dort war echt was los: wir saßen und standen alle viel zu eng, es gab die üblichen, etwas hektisch klingenden Sprechchöre für Mannschaft, Verein, Führer, Vaterland und Gott und ein Trommler und vier Trompeter, von denen einer auch mal „We will rock you“ spielte, waren voll in Aktion. Ein weiterer europäischer Rhythmus neben dem oben genannten war dann „Jingle Bells“. Diese Melodie trug natürlich abgeänderte Zeilen, die sich gegen einen Gästespieler richteten: „Kiss ukhtek... => Fick deine Schwester...“.
Die Spieler stellten sich um drei Uhr auf, klatschten sich ab, stellten sich zu Mannschaftsfotos auf und legten damit los, das gegnerische Tor erfolglos aber unterhaltsam zu attackieren (hier Al-Jaish besser) und im Mittelfeld auf hohem technischen Niveau (dort Kazma besser) den Ball laufen zu lassen. Rechts und links der Ehrentribüne sorgte das auch für ausgelassene Stimmung, während auf der Gegenseite nur kleine Gruppen regelmäßig mitzogen. Bei Halbzeit stand das Spiel noch torlos, doch nach einer Stunde schafften es die Kuwaitis die syrische Abwehr auszuhebeln. Eins zu Null sollte auch der Endstand sein, obwohl Al-Jaish ab der 78. ein Mann mehr war, da ein völlig bescheuerter Gästespieler nach einem Foul wegen Schiedsrichterbeleidigung vom Feld flog. Er bespuckte dann noch einen syrischen Gegenspieler, woraufhin er vom Feld gescheucht und von Ordnern zum Spielertunnel geschoben wurde. Dieser liegt allerdings unter dem zweiten (rechten) Fanblock, weswegen er erstmal kehrt machen musste, da ihm Flaggstöcke und Plastikflaschen entgegen flogen. Dann natürlich noch dieser Jingle Bells Sprechchor... Irgendjemand rechts von uns setzte dann auch noch mit einem Bengalo eine weitere optische Aktion. Die anderen optischen Aktionen waren diverse Handflaggen von Al-Jaish und dem syrischen Staat sowie drei dauerhaft auf der Gegentribüne ausgebreitet Blockfahnen für Al-Jaish.
Die Armee hatte die besseren Torgelegenheiten, doch kriegte keinen Ball über die Linie. Auch mit dem Flugkopfball in der Nachspielzeit nicht.
Wir kriegten es dann erst nach zwei Stunden hin, nach einem weiteren guten Imbiss ein Hotel zu finden. Das lag a) an dem unheimlichen Verkehrschaos in Damaskus zwischen 6 Uhr und 22 Uhr, b) an der allgemein unübersichtlichen Bauweise der Stadt und c) an dem schlechten Stadtplan. Ganz nah an der Zitadelle fanden wir dann endlich das Funduq Qasr Randa (Hotel Randa’s Schloss), was nicht so teuer klingt, wie „Schloss“ vorgaukelt. Nicht einmal 20€ die Nacht in allerdings sehr kleinen Doppelzimmern. Pluspunkte gibt es für die Sauberkeit und die coolen und freundlichen Bediensteten und den Chef, einen Minuspunkt für die ungedämmten Fenster.
Statistik:
Ground Nr. 395 (ein neuer Ground; diese Saison: 64 neue)
Sportveranstaltung Nr. 958 (diese Saison: 100)
Tageskilometer: 310 (Auto)
Saisonkilometer: 20.100 (12.660 Auto/ 3.000 Flugzeug/ 2.320 öffentliche Verkehrsmittel/ 2.120 Fahrrad)
Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 47
Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 187
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