Sonntag, 3. Juli 2011

W257III: Randsportart Radrennen – oder: Stehermeisterschaft an historischer Stätte

Deutsche Stehermeisterschaft 2011
Datum: Samstag, 2. Juli 2011 – Beginn: 15.00
Wettbewerb: Finals der deutschen Meisterschaft in der Bahnradsportdisziplin Steherrennen
Sieger: Florian Fernow (Schrittmacher: Peter Bäuerlein, Svg. Zehlendorfer Eichhörnchen)
Austragungsort: Alfred-Rosch-Kampfbahn (Leipziger Radrennbahn, Kap. 6.000, davon 1.500 Sitzplätze)
Zuschauer: ca. 600
Unterhaltungswert: 5,0/10 (Bei allem Eindruck, den Geschwindigkeit und v.a. Ausdauer der Fahrer hinterlassen – aber die Ovalbahnmonotonie ist nicht wegzuleugnen)

Gesamtstände:
1-8 A-Finale, 9-15 B-Finale
[Platz. Fahrer (Schrittmacher, Verein)]
1. Fernow (Bäuerlein, Zehlendorfer Eichhörnchen)
2. Schwarzer (C. Dippel, Teutoburg Brackwede)
3. Breuer (Gessler, RSG Hürth)
4. Scholz (Podlesch, OSC Potsdam)
5. Möbus (Baur, PSV Forst/ Lausitz)
6. Freiesleben (Weiß, Team Isaac Torgau)
7. Keller (Rellensmann, Muldental Grimma)
8. Kupfernagel (A. Dippel, SSV Gera 1990)*
9. Schwerdt (Schwarz, VfR Herpersdorf)
10. Passenheim (Bäuerlein, Schwalbe Solingen)
11. Heinze (Aebi, SSV Gera 1990)
12. Körber (Schinner, Nutrixxion Sparkasse Dortmund)
13. Wolfrum (A. Dippel, RSV Peitz)
14. Hecking (Kirchner, Schwalbe Solingen)
15. Kuban (Schinner, Union Nürnberg)

Nicht gestartet: Vonhof (TK Schwabach)

* nach 37 von 60 Minuten aus dem Rennen genommen: Rote Flagge, da 6x vom Führenden überrundet.
IMG_6258 Radrennbahn Leipzig = Alfred-Rosch-Kampfbahn
Photos and English version:

Wer über die Formel-1 etwas von „nur im Kreis Rumgefahre“ erzählt, muss eine ziemlich unklare Vorstellung über den geometrischen Begriff haben. So ist die Rennstrecke von Bahrain z.B. ein Zweiundzwanzigeck oder jene in Spa immerhin noch ein Fünfzehneck. Auch eine Speedwayrennstrecke oder eine Radrennbahn sind natürlich kein Kreis, aber immerhin ein Oval, was natürlich so nah am Kreis ist, dass ich die Kritik am Bahnradsport, das sei alles nur „Radfahren im Kreis“ nachvollziehen kann. An diesem verregneten Samstag guckte ich mir trotzdem so einen Renntag auf einer Radrennbahn an, was auch viel mit der Bahn selbst zu tun hatte.

Die Alfred-Rosch-Kampfbahn, die meist nur noch als „Leipziger Radrennbahn“ bezeichnet wird, was 1. sehr einfallslos und 2. ein Beispiel für die Vergangenheitsparanoia in der Ex-DDR ist: der Name Alfred Rosch soll getilgt werden, da der Leipziger ein kommunistischer Arbeitersportler war, ist die längste teilüberdachte Radrennbahn hierzulande. Teilüberdacht heiß, dass Tribünen und Bahn einen Regenschutz haben (dieser Regenschutz in Form eines relativ niedrig über die Tribünen gebauten Wellblechdaches wurde erst kürzlich saniert), aber der Innenraum in der Mitte nicht überdacht ist. Die Bahn ist mit 400m relativ lang und ist aus Beton, der einige versiegelte Ritzen vorweist. Richtig marode ist aber nur die Rückwand der Tribüne mit den eingeschlagenen und besprayten Kunststofffenstern. Es gibt eine modernisierte Ehrentribüne mit Kunststoffsitzen, die von einer Presseloge und einer älteren Zielgeradentribüne mit Holzbänken flankiert wird. Daran schließen auf den kürzeren Seiten der Bahn (wo die Kurvenüberhöhungen sind, die hier relativ gering sind) Stehplätze an. Gegenüber der Zielgeraden gibt es noch mal Sitzbänke aus Holz. Die steinernen Stehstufen direkt rechts und links von diesen Bänken sind in schwarz-rot-gold gestrichen. Wer mal ein älteres Foto der Bahn sehen will, sollte mal auf „Radsportgalerie Schürmann“ gehen. Dort ist ein Bild vor Konstruktion des Daches zu finden.
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Zum Glück gibt es aber ein Dach, sonst hätte man das Rennen heute nicht starten können, da die Geschwindigkeiten von durchschnittlich 50-60 km/h und die starken Kurvenüberhöhungen eine trockene Fahrbahn erfordern. Was noch klar gestellt werden muss, ist der Punkt, dass Steherrennen nicht bedeutet, dass man im Stehen rennt oder auf dem Rad stehend fährt. Das ist einfach eine Schwachsinnsübersetzung vom Englischen „stay“ oder „stayer“ – im sportlichen Sinne „ausdauernd sein“. Die einzigen, die Stehen, sind die Fahrer der Motorräder. Und die ziehen nicht etwa die Fahrradfahrer hinter sich her, sondern geben ihnen Windschatten. Richtig gute Radrennfahrer fahren nämlich über 30 oder gar 60 Minuten durchgängig 50 oder 60km/h wie hier. Das Metallding hinten am Motorrad ist nämlich nur eine als Abstandshalter dienende Metallrolle und keine Anhängerkupplung...

Also so viel zum Prinzip dieser Bahnradsportdisziplin. Was die Wettkämpfe anging, so dauerte das B-Finale etwa 30 Minuten und das A-Finale 60 Minuten. Wer in A- und B-Finale starten durfte, wurde in drei Rennen (also den Vorläufen) am vorigen Freitag entschieden.
Im B-Finale starteten dann nur 7 Fahrer, da einer wegen Verletzung oder so nicht antreten konnte. Den Lauf gewann Schwerdt vom VfR Herpersdorf mit seinem Schrittmacher Schwarz. Der Schrittmacher auf seinem Motorrad leistet zwar nicht annähernd die harte körperliche Arbeit wie der Radrennfahrer, muss aber taktisch klug fahren, dass er seinem Kollegen (jeder Radrennfahrer hat einen bestimmten Schrittmacher im Rennen) nicht abhaut (wenn der Windschatten weg ist, wird er erheblich langsamer, der Biker muss abbremsen und ihn wieder herankommen lassen: kostet viel Zeit) oder er zu langsam wird und der Radfahrer dem Schrittmacher - wie es ein echter Leipziger (der kommt also aus Leipzsch) so schön ausgedrückt hat - „hindn droff roocht“.
Im A-Finale, in dem der deutsche Meister ermittelt wurde, fiel dann auch mal ein Fahrer nach etwas mehr als der Hälfte der Zeit so weit zurück, dass er vom Führenden sechsmal überrundet wurde. Dann wedelt ein Offizieller mit der roten Flagge und hält eine Tafel mit der Nummer des Zulangsamen hoch, der sich dann von der Strecke runtermachen muss. Der Führende und deutsche Meister war übrigens recht überlegen und gewann mit einer Runde Vorsprung vor dem Zweitplatzierten. Dieser starke Fahrer heißt Florian Fernow und fährt für den Berliner Klub mit dem lustigen Namen Zehlendorfer Eichhörnchen. Sein Schrittmacher war Peter Bäuerlein.
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Für 90 Minuten Rennen gab man übrigens 4€ für normale Plätze auf Kurvenhöhe und Gegengerade und 6€ für Plätze auf Zielgeradenhöhe aus. Wir nahmen die niedrigere Kategorie und zahlten dann einen doppelt so hohen Betrag für primitives Imbissessen leicht überdurchschnittlicher Qualität. Für Leipzig war das Preis-Leistungs-Verhältnis also nicht so gut und der Fakt, dass die Sportlergaststätte geschlossen hatte und nur ein Imbiss aufgebaut wurde, war erbärmlich! Die Leipziger Vereins- und Sportlergaststätten sind nämlich auf sehr hohem Niveau. Mitunter auf höherem als der Sport in den angrenzenden Sportstätten...

Was abschließend noch erwähnenswert ist, ist die nicht vorhandene Werbung für diese Veranstaltung: einzig im Internet waren spärliche Informationen zu bekommen. Die Zeiten des Bahnradsportbooms sind ja seit Jahrzehnten vorbei, aber wenn bei einer deutschen Meisterschaft keine 1.000 Zuschauer kommen – mal abgesehen davon, dass es kaum Fahrer gibt, die noch Steherrennen fahren – kann man nur noch von einem Randsport reden. Eigentlich wird aber auch der gesamte Radsport in Deutschland zu einem Randsport degradiert. Wenn 95% der Radsportmeldungen in Presse und Glotze Artikel über Doping sind, ist das auch kein Wunder. Der Dopingwahn und die Unehrlichkeit im Radsport, die seit Jahren Ausmaße wie im us-amerikanischen Professional Wrestling angenommen haben, sind aber nur die eine Seite der Medaille – die andere ist die Perversion der Presse, den größtenteils einfach nur geldgierigen wie paranoiden Anti-Doping-Kämpfern (WADA usw.) ständig neue Munition zu liefern und die Masse an naiven Sportfans immer weiter zu verunsichern. So ehrlich und realistisch wie ich, können das die meisten Fans wohl nicht sehen: was wäre denn die Sportwelt ohne Betrug, Anti-Helden, Fair-Play-Verweigerer und Krawallbrüder auf den Rängen? Man muss sich doch auch über unfaire Typen und unangenehme Gestalten aufregen können! Dass so etwas nicht völlig überhand nehmen darf ist zwar auch klar, aber das Bild des Radsports in dem 99% aller Fahrer hemmungslos dopen, ist von dummen Journalistenpack gezeichnet – vielleicht sind morgen die Leichathleten oder Schwimmer (bei denen genauso schwierige Verhältnisse durch die Jagd nach immer schnelleren Zeiten usw. herrschen wie im Radsport) und in 10 Jahren die Fußballer dran. Bei Letzteren nehmen ja derzeit halbwegs berechtigte bis alberne und hirnrissige Berichte zum Doping zu. Der deutsche Radsport ist jedenfalls in der Gegenwart auf dem totalen Rückzug und wird so schnell auch nicht wieder erfolgreich hochkommen.
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Statistik:
Grounds: 587 (heute ein neuer Ground; diese Saison: 136 neue)
Sportveranstaltungen: 1.306 (heute eine, diese Saison: 194)
Tageskilometer: 70 (70 Fahrrad)
Saisonkilometer: 43.520 (21.990 Auto/ 10.200 Flugzeug/ 5.660 Bahn, Bus, Tram/ 4.860 Fahrrad/ 810 Schiff, Fähre)
Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 38
Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 257

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