Freitag, 14. September 2012
W319V: Balkantour 2012 – Tag 15 = Bericht (15)
| Ein Tag in Tirana: Von einem krummen Boulevard, einem versifften See, Enver Hoxhas Villa und Pyramide & einem Länderspiel im Fanblock |
Albanien (Shqipëri/ Alvanía; Αλβανία) ---------------- 3
Zypern (Kypros; Κύπρος/ Qipro) ----------------------- 1
Datum: Freitag, 7. September 2012 – Anstoß: 20.30
Wettbewerb: Länderspiel der Gruppe E der UEFA-Qualifikation zur Fußball-Weltmeisterschaft 2014
Ergebnis: 3-1 nach 100 Min. (50/50) – Halbzeit: 1-1
Tore: 1-0 35. Armando Sadiku, 1-1 45.+5 Vincent Laban, 2-1 83. Edgar Cani, 3-1 87. Erjon Bogdani
Verwarnungen: Armando Sadiku, Erjon Bogdani, Lorik Cana, Alban Meha (Albanien); Vincent Laban, Konstantinos Makridis (Zypern)
Platzverweise: keine
Spielort: Stadiumi Kombëtar Qemal Stafa (Kap. 19.500 Sitzplätze)
Zuschauer: ca. 15.000 (darunter keine Gästefans)
Unterhaltungswert: 8,0/10 (Nach guter erste Halbzeit viel Leerlauf bis zu einer genialen Schlussphase der Albaner – Stimmung weitestgehend gut, in der Schlussphase herausragend)
Photos with English Commentary:
a) Football World Cup Qualifying Match: Albania vs Cyprus; at Qemal Stafa Stadium, Tirana
b) Tirana – The Capital of Albania
Videos of the Football Match:
Hauptstädte sind meistens die größte, einwohnerreichste und kulturell wie auch wirtschaftlich lebhafteste Stadt eines Landes. Jedoch kann man Hauptstädte, die auch die sehenswerteste Stadt eines Landes sind, an einer Hand abzählen. Da wäre vor allem Prag zu nennen, Stockholm, ja… Ähm, Prag?! Ach ne, hatten wir ja schon… Also zu den anderen Kategorien von Hauptstädten: 1. sehenswert, aber es gibt im Land noch sehenswertere Orte: London, Wien, Kopenhagen, Damaskus, Rabat… und 2. nicht schön, aber interessant: Berlin, Bratislava, Belgrad… Schließlich gibt es 3. auch noch Hauptstädte, die sind einfach lächerlich oder scheiße: Vaduz, Helsinki, Oslo… Mit Tirana muss man allerdings eine andere Kategorie aufmachen, die sich zwischen 2. und 3. befindet.
Tiranas Herz ist ein leicht unregelmäßiges, nicht wirklich durchdachtes Boulevard, dass einen kleinen Platz (dieser ist nach Mutter Teresa benannt) mit einem großen Platz (benannt nach dem Nationalhelden Skenderbeu) verbindet. Mittelmäßig monumentale sozialistische Bauten stellen hier die allerletzten Reste der historischen Bebauung (eine Moschee sowie die Reste einer Burg und eines Schlosses) zu. Angrenzend sind eine sehr sehenswerte moderne Kathedrale und viel Betonwüste mit Ramschläden und Rohbauten. Weiter am Rand des Boulevards, wieder in Richtung Mutter-Teresa-Platz, befindet sich das Regierungsviertel und das „Blockviertel“ der ehemaligen Regierung. Während das Mausoleum Enver Hoxhas – eine protzige Pyramide direkt am Boulevard – verfällt, sieht seine Villa ganz gut aus. Man muss aber wissen, wo sie steht, da nichts auf ihren ehemaligen Besitzer, der wie so viele andere Diktatoren von der Mehrheit verwünscht aber von einer Minderheit weiterhin hochleben gelassen wird, hinweißt. Weiter südlich, zwischen den beiden großen Fußballstadien Qemal Stafa und Selman Stermasi, liegt ein großer Park. Der ist so ausgedehnt, dass wir es zu Fuß nicht mehr bis zum Zoo und dem botanischen Garten runterschafften. Beides wäre interessant gewesen, da ersterer wohl nicht annähernd europäische Standards erfüllt, letzterer aber sehr gut sein soll. Nun ja: Wenig interessant hingegen ist der künstliche See, ein halbtrockener, algenverseuchter Tümpel direkt am großen Park.
Ich hatte ja eben die Stadien erwähnt. Wichtig ist vor allem das Qemal Stafa Stadion, wo es auch heute ein Länderspiel gab. Erstaunlicherweise gab es sogar schon um 10 Uhr Karten im Vorverkauf. Nur natürlich nicht so organisiert, wie in den meisten anderen europäischen Ländern. Kartenpreise werden hier ausgehandelt. Die Kartenverkäufer erzählten auch Einheimischen etwas von Gebühren und Steuern, die es aber garantiert nicht so gibt, sondern in die eigenen Taschen abgezweigt werden. So wurde kräftig diskutiert, wobei wir natürlich nicht so mithalten konnten. Aber ob 700 Lek (5€) oder 1.000 Lek (7,50€) – die Kartenpreise waren für uns nicht sonderlich hoch. Noch günstiger waren die Fanartikel. Einen Schal und ein Basecap – alles dunkelrot mit dem schwarzen Doppelkopfadler – kauften wir, was je 500 Lek (3,75€) kostete.
Die Gruppe E der Europa-Qualifikation zur WM in Brasilien ist mit den Gruppenfavoriten Norwegen, Slowenien und Schweiz sowie den drei Außenseitern Zypern, Albanien und Island sicherlich die schwächste. Aber das heißt ja nicht, dass man dort nur schwachen Fußball zu sehen bekommt. Albanien ist zwar im Abwärtstrend und Zypern wird niedrig bewertet, doch Albanien ist zuhause immer für eine Überraschung gut und die Zyprer können überall die tollsten Ergebnisse erzielen – siehe das 4:4 in Portugal vor zwei Jahren, ein 4:1 gegen Bulgarien 2009 oder das 1:1 gegen unsere deutsche Auswahl 2006. Spiele zwischen Albanien und Zypern gingen meist zugunsten der Zyprer aus, doch das letzte Aufeinandertreffen 2009 war ein Freundschaftsspiel das mit 6:1 für Albanien, also das Land der Adler, gegen Zypern, die Insel der Aphrodite, endete.
Dass die Infrastruktur in Albanien im Vergleich zu anderen europäischen Ländern unterentwickelt ist, erkennt man sehr gut am Nationalstadion (Stadiumi Kombëtar) Qemal Stafa (ein albanischer kommunistischer Politiker und Weltkriegsveteran, der 1942 von den italienischen Faschisten ermordet wurde). Nur 19.500 Sitzplätze auf einfachen, etwas abgesessenen Sitzschalen die nicht ganz lückenlos im mittelgroßen Betonrund angebracht sind. Überdacht ist nur die recht flache Haupttribüne. Die Anzeigetafel erstaunte uns: Sie ist völlig versifft doch funktionierte und zeigte die Paarung, den Spielstand und etwas funselig auch die Uhrzeit an. Die Flutlichtmasten waren gar nicht so schlecht, die Engstellen an den Ein- und Ausgängen aber bedenklich. Alles in allem ist das Qemal Stafa ein richtig schönes Stadion, aber eben nicht gerade Spitzenniveau, obwohl es das größte und beste des Landes ist.
Von Spitzenniveau war die Nationalmannschaft Albaniens aber nicht weit entfernt heute. Sie schnürten die Zypressen, äh: Zyprer von Beginn an ein und hatten gleich mit einem Fallrückzieher, der 30cm über die Latte ging, eine erste tolle Chance. Die klar besseren Chancen hatte Albanien, Zypern kam nur sporadisch vor das gegnerische Tor. Nach 35 Minuten ging endlich ein Freistoß ins Eck. Doch nachdem ein Zyprer foulte, der Blinde an der Pfeife jedoch weiterlaufen ließ und ein Albaner – da sein Kollege noch am Boden lag – ein Foul am unfairerweise weiterspielenden Zyprer beging, gab es Freistoß für Zypern, der irgendwie ins lange Eck flog.
In der zweiten Halbzeit schien bei Albanien nach diesem völlig unverdienten Ausgleich die Luft draußen zu sein. Es passierte fast gar nichts mehr und man musste sich nicht einmal mehr über das sehr schwache kasachische Schiedsrichtergespann aufregen. Vor allem die Fans hinter den Toren fingen nun an, regelmäßig Feuerwerk abzubrennen. Besonders der Fanklub Skopje tat sich dabei hervor, aber auch der Kosovo-Klub rechts von uns. Es war mal wieder typisch, wo die Albaner, die sich an keine Regeln hielten, herkamen… Die letzten 10 Minuten, in Anschluss an die größte Pyroeinlage übrigens, hatten es dann aber richtig in sich. Plötzlich drängte Albanien wieder auf ein Tor und kam auch per Kopfball zur erneuten Führung. Ein herrlicher Weitschuss in den Winkel ließ dann alle Dämme brechen: Der 3-1 Endstand wurde überschwänglich gefeiert!
Eben klang es schon an: Es war stimmungsmäßig richtig was los. Wir waren im Fanblock hinter den Tifozat Kuq e Zi und verfolgten das Spiel stehend. Rhythmisches Klatschen, Gesänge, Sprechchöre, Fahnen- und Schalsschwenken. Ab und an ebbte es mal minutenlang ab, aber dann ging es immer wieder munter weiter. Auch Pyrotechnik kam zum Einsatz – insbesondere die makedonische Fangruppe „Shvercerit Shkup“ (es gibt viele Albaner in Makedonien) hatte viel Zeug reinbekommen – und die Stimmung wurde immer wieder verbal recht hitzig. Dies hing allerdings zum einen mit der schlechten Leistung des Schiedsrichtergespanns zusammen, und zum anderen mit dem Fakt, dass die zyprische Nationalmannschaft eine Auswahl südzyprischer, also griechischer Spieler (sieht man einmal von der ein oder anderen Einbürgerung ab, die dann aber gar nichts mit Zyprern zu tun hat) ist und Griechenland immer ein Feind Albaniens war. So gab es Massaker an und Vertreibungen gegen Albanern in Griechenland (umgekehrt aber übrigens nicht, was wieder sehr für die im Allgemeinen sehr toleranten Albaner spricht) und politische wie militärische Auseinandersetzungen (die übrigens ebenfalls einseitig von Griechenland ausgingen). In Tirana sind ja die Fremdsprachenkenntnisse etwas besser als woanders im Land (also es können 10% und nicht nur 3% der Albaner eine Fremdsprache und davon je ein Drittel Englisch), sodass es in Sachen Hasssprechchöre „Hellas, Hellas – Fuck you, Fuck you!“ zu hören gab. Zwar kein richtiges Englisch, aber immerhin Pidgin-Englisch, mit dem man sich auch in den zentralen Stadtvierteln Tiranas oft verständigen kann.
Es muss noch hervorgehoben werden, wie verdient der Sieg der albanischen Mannschaft war und wie schön es war, ihn mitten im Fanblock zu erleben. Dieser Spielbesuch hat mal wieder besonders Spaß gemacht!
Grounds: 791 (heute ein neuer; diese Saison: 23 neue)
Sportveranstaltungen: 1.604 (heute 1, diese Saison: 27)
Tageskilometer: nur zu Fuß unterwegs
Saisonkilometer: 8.860 (8.270 Auto/ 510 Fahrrad/ 80 Schiff, Fähre/ 0 Flugzeug/ 0 Bahn, Bus, Tram)
Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 138
Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 319
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen