Freitag, 14. September 2012

W318III: Balkantour 2012 – Tag 6 = Bericht (6)

| Über Serpentinen, Tunnel und Passstraßen zum Fußball an den See von Plav |

FK Jezero Plav 1948 ------------------------------------ 1
Omladinski Sportski Klub Igalo 1929 --------------- 1
Datum: Mittwoch, 29. August 2012 – Anstoß: 17.00
Wettbewerb: Druga Liga (2. montenegrinische Fußballliga; 1. Halbprofiliga)
Ergebnis: 1-1 nach 95 Min. (47/48) – Halbzeit: 1-0
Tore: 1-0 40. Saša Radenović, 1-1 71. Milo Đurković
Verwarnungen: Miško Ceklić, Slavko Damjanović (Jezero); Miodrag Koprivica, Marko Filipović, Mirko Durutović, TW Marko Radović, Milo Đurković (Igalo)
Platzverweise: keine
Spielort: Stadion Pod Racinom (Kap. 2.000, davon 50 Sitzplätze)
Zuschauer: ca. 400 (davon ca. 50 außerhalb des Stadions; keine Gästefans)
Unterhaltungswert: 8,5/10 (Richtig gutes und spannendes Spiel!)
IMG_7659 Photos with English Commentary:
 
Im Hotel “Bavaria” in Foča gab es nach dieser guten Übernachtung auch gutes Frühstück. Da gegenüber Deutschen bei einem Gespräch über eine Balkanreise auch doch das Thema Politik aufkommt, hat man dann auch am frühen Morgen schon eine gute Unterhaltung. Zum Glück ist die Besitzerin Deutsche, ihr serbischer Mann wird sicherlich nicht so differenziert sehen, dass Bosnier wie auch Serben Fehler machen und durch die alten Kräfte, die auch ihrer Meinung nach endlich weg müssten, die Regierung in Bosnien so handlungsunfähig ist. Ich habe mich natürlich zurückgehalten, aber eigentlich muss man zu der Lage Bosniens etwas deutlichere Worte treffen, als dass beschwichtigende „auf allen Seiten werden Fehler gemacht und alle blockieren sich gegenseitig“: Zum einen ist es nicht zu leugnen, dass es einen Hauptaggressor gab und gibt – nämlich die Serben. Also nicht nur Serbien, sondern alle serbischen Siedlungsgebiete wie auch die Republika Srpska – und mit „den Serben“ meine ich nicht nur Politiker und Aktivisten – da sind auch ganz normale Leute dabei, die in den 90ern zu den Waffen gegriffen haben und heute noch rumstänkern oder gar zu Gewalt neigen. Zum anderen ist es faszinierend zu sehen, dass man am Beispiel Bosnien sehr gut erklären kann, dass es Radikale und Extremisten nicht nur im Islam gibt. Wahhabiten und anderes Gesindel fasst kaum Fuß in Bosnien – die islamische Gemeinde ist sehr moderat. Die katholischen Kroaten neigen kaum zu Aggressionen mit dem vorgeschobenen Grund der Gegenüber sei „ungläubig“ oder so, aber Aggressionen gegen andere Ethnien sind schon häufiger. Doch während es bei den Katholiken eine Randerscheinung ist, sind extremistische Gruppen unter Zusammenwirkung von weltlichen Faschisten und orthodoxen Fanatikern bei den Serben erheblich zu spüren. Solcher Abschaum ist zwar nicht die Mehrheit, ich habe aber andererseits noch nie von einem Serben kritische Töne zur Rolle seiner Landsleute in den 90ern oder der Gegenwart gehört. Schuld sind immer die Anderen – selbst wenn man sich bewusst ist, dass eine nicht unerhebliche Anzahl der serbischen Landsleute, indem sie von ihrem Herrenrassen- und Religionsüberlegenheitsgefühl getrieben den Balkan mit Krieg überzogen, für die schlimmsten Verbrechen nach dem 2. Weltkrieg auf europäischem Boden verantwortlich sind.

Kaum auf dem Weg nach Montenegro fiel einem schon wieder die Abartigkeit der serbischen Seite auf. Nach meinem Besuch in Serbien 2007 war ich sehr angetan von dem Land und auch mit dem gastfreundlichen Verhalten der Leute zufrieden. Ich bin ja weder Roma noch Schwarz oder Muslim – da wurde ich sehr freundlich behandelt. Aber nach einem Besuch in Bosnien und gerade der seltsamen Provinz Republika Srpska, können Sympathien für Serbien nur hinterfragt werden oder sinken. Wir meisterten die Grenzkontrolle zwar in Rekordzeit – 10 Minuten vom bosnischen Checkpoint über die Holzbrücke zum montenegrinischen Checkpoint und ins erste Dorf in Montenegro – doch eigentlich hatten wir ja nicht den Checkpoint von Bosnien passiert. Es verabschiedete uns ein Schild der Republika Srpska und beim Umdrehen sah man auch nur die Flagge der RS, eine Billigversion der serbischen Staatsflagge, und ein Schild, dass auf die RS hinwies. Kein Wort zu Bosnien. Mich wunderte, dass die Grenzer überhaupt bosnische Uniformen trugen... Nach alldem was ich gesehen habe, kann ich nur sagen, dass die Federacija mit dem Brčko-Distrikt zusammen auch alleine überlebensfähig ist (so wie Montenegro ja auch); sollen die Idioten aus der RS sich doch dem Serbischen Staat angliedern – die Unruhestifter wirtschaften eh nur in ihre eigenen Taschen und tun rein gar nichts für die Federacija!

Interessant war es auch bei den Nachrichten zuzuhören: Zwei ganz einfache Worte zeigten die politische Ausrichtung der jeweiligen Seiten – es waren die Worte „Diktator“ und „Präsident“, die sich beide auf Bashar al-Assad bezogen. Der bosnische Sender sprach vom „syrischen Diktator“, dem einzigen in einer Nachrichtensendung angebrachten Begriff für al-Assad – die Sender in der quasi-serbischen Republika Srpska und im serbienhörigen und somit auch russlandabhängigen Montenegro nannten den Diktator nach seiner Eigenbezeichnung „Präsident“. Doch je mehr Leute wir bis Gusinje in Montenegro trafen, desto weniger störte mich diese hirnlose Nachplapperei der russisch-syrischen Propaganda – Montenegro ist (wie der Name einem auch schon nahelegt) eine Bergrepublik und die ursprüngliche Bevölkerung sind einfache, primitive und ungebildete Almbauern und Handwerker. Sie wissen es einfach nicht besser und können mit Weltpolitik oder anderen Ländern nichts anfangen...
IMG_7607 Die Fahrt vom Grenzübergang Hum/ Šćepan Polje über das Durmitor-Gebirge zur Brücke über die Tara-Schlucht ist aber weniger deshalb so wunderschön, da man kaum Leute trifft, die auf die obige Beschreibung „ungebildet und primitiv“ passen – man trifft halt gar niemanden – sondern weil man durch eine unglaubliche Berglandschaft fährt. Die Wirtin im Bavaria hatte völlig Recht, dass sie sich über die Spinner lustig machte, die die Canyons und Berge in Nordamerika bewundern – in Montenegro hat man für weniger Zeit- und Geldaufwand genauso tolle oder wahrscheinlich sogar noch bessere Ecken. Wild gezackte, zerklüftete, mit Nadelbäumen und Büschen bestückte Felsmassive – tiefe Schluchten mit kalkblauem Wasser – steinige, unebene Hochebenen – extrem enge Asphaltstraßen mit dutzenden von Tunneln, die meist einfach durch den nackten Felsen getrieben wurden: Der Weg von Šćepan Polje nach Žabljak kommt sogar fast an die Querung des marokkanischen Atlasgebirges über den Tizi-n-Test heran!

Es dauerte ewig, bis wir in Montenegro auf etwas dichter besiedeltes Gebiet stießen. Erst knapp 100km und mehr als drei Stunden Fahrt hinter der Grenze errichten wir mit Mojkovac ein größeres Dorf in dem wir uns im Supermarkt und einer Bäckerei etwas zu Essen holen konnten. Die Supermarktpreise sind bei den meisten Produkten vielleicht 10-20% unter den deutschen Preisen, bei manchen Produkten aber genauso überteuert. Aber ein echter Knaller sind die Brötchen beim Bäcker: 20cm Durchmesser, also sättigend wie drei Brötchen eines deutschen Bäckers und dann nur 0,20€ pro Stück, was ja in Deutschland für ein Brötchen noch im Rahmen ist.

Berane war die erste richtige Stadt, die wir passierten. Da noch viel Zeit bis zu den Mittwochsspielen der zweiten montenegrinischen Fußballliga war, ließen wir das Industriestädtchen links liegen und fuhren – wie in der aktualisierten Form geplant – statt zum Spiel in Berane nach Plav weiter.

Plav ist ein unsägliches Kaff an einem versifften See der von ganz netten Bergen umgeben ist. Leider stehen die Berge etwas weiter weg. Dafür gab es aber endlich mal ein paar architektonische Sehenswürdigkeiten (im Norden Montenegros gibt’s ja „nur“ tolle Landschaft – die tollen Städte und Einzelbauten hat der Süden) zu sehen: Ein Blutturm – also ein Wehrturm in dem sich Männer verschanzten, die irgendwelche Scheiße gebaut haben und deshalb Blutrache von einem anderen Clan fürchten mussten – und mehrere Moscheen, welche oft mit Holzminaretten ausgestattet sind. In eine gingen wir rein: Der Gebetsraum bot kaum Platz für 30 Leute, war aber schön holzgetäfelt.
IMG_7678 Der Typ mit dem auffälligen Bart, der uns freundlich in die Moschee hereinbat, saß dann im Stadion einige Meter weg von uns neben dem Imam. Direkt neben uns hatte sich ein pöbelnder Rentner niedergelassen, der mir aber langsam und dadurch auch weitestgehend verständlich auf Montenegrinisch so ein paar Sachen zu den Mannschaften erklärt. FK Jezero Plav (also quasi FC See Blau) war mit zwei Siegen in die Saison gestartet und daher Tabellenführer, der Gast hingegen holte erst einen Punkt aus den beiden Partien. Der von dem Alten sehr gelobte, aus Rožaje stammende Jezero-Torwart war lange ein Garant für die Null auf der Gästeseite. Der hielt wirklich sicher jeden Ball. Sein gegenüber vom Jugendsportverein aus Igalo, einem Ortsteil von Herceg Novi an der Küste, hatte genauso viele Bälle zu halten, musste aber dann nach 40 Minuten doch einmal hinter sich greifen. Auf dem holprigen und an vielen stellen weggetretenen Rasen war es schwer den Ball zu kontrollieren, doch der 17er nahm den Ball im Strafraum so geschickt runter und zimmerte ihn so überlegt hoch ins Eck zum 1:0, dass da nichts zu machen war für den Igalo-Schlussmann.

Der Ausgleich fiel in der zweiten Hälfte, in der der Gast etwas mehr Angriffe aufs Heimtor zeigte, durch einen Freistoß, der wohl noch von einem anderen Spieler als dem Schützen abgestaubt und gegen die Laufrichtung des Heimtorwarts versenkt wurde. In den besonders spannenden letzten 20 Minuten ging das Publikum, das sich auf der fünf bis elf Reihen zählenden Betontribüne mit willkürlich verteilten Sitzbänken und einem rostigen Kamerapult, einem Balkon eines hinter dem einen Tor befindlichen Hauses, dem vermüllten Hügel hinter dem anderen Tor oder der Mauer auf der gegenüberliegenden Seite, über die hinweg man einen tollen Blick zu der größten Moschee und vor allem den großen Bergen hat, niedergelassen hatte, auch besonders gut mit. Ein Tor fiel zwar nicht mehr, aber wenn ich mir überlege, wie gut diese beiden Mannschaften um den Ball kämpften, wie sicher sie trotz des holprigen Bodens die Bälle in ihren Reihen hielten und wie offensiv sie auf die Tore gingen – und die ganze Action für nur 1€ Eintritt – da ist dieses Spiel mit dem unspektakulären Ergebnis von 1:1 doch ein heißer Kandidat für das beste Spiel der Reise, obwohl bisher jedes Spiel überdurchschnittlich gut war!

Nach dem Spiel ging dann übrigens die nicht ganz einfache Suche nach einer Unterkunft weiter. Vor dem Spiel hatten wir schon im Restaurant „Palma“ gefragt, was im Dumont-Reiseführer von 2011 noch als „Restaurant und Pension“ geführt ist. Doch da wie auch woanders in Plav gibt es keinerlei Zimmer mehr: Der Tourismus ist in dieser Region des ansonsten sehr touristisch gewordenen Montenegros total eingebrochen, sodass alle Unterkünfte bis auf zwei „Autokamps“ dichtgemacht haben. Und diese beiden Autokamps wirkten so unausgelastet, dass wir den Versuch, einmal diese Art von Übernachtung (man bekommt einen Stellplatz für sein Auto und dazu entweder ein Mietzelt für meistens 5€ oder ein Bungalow für 15-20€ und benutzt dann Sanitäreinrichtungen und Gemeinschaftsräume mit anderen Campern zusammen wie auf einem stinknormalen Campingplatz auch) auszuprobieren, auf später verschoben. Wir fuhren auf Gutglück in Richtung albanische Grenze und fanden zwar keins der beiden im Reiseführer angegebenen Motels, aber ein hervorragendes Hotel in Gusinje, 10km vor der Grenze nach Albanien. Das „Rosi“ ist eine tolle Konstruktion aus Supermarkt im Erdgeschoss, Restaurant im ersten Stock und Hotel im zweiten und dritten Stock. Geräumiges, modernes, sehr ordentliches Doppelzimmer mit Frühstück für 30€ – starkes Preis-Leistungs-Verhältnis! Und sogar eine Angestellte, die hervorragend Deutsch und gut Englisch spricht! Die sympathische junge Frau war die erste wirklich freundliche Person die wir in Montenegro trafen und die erste, die nicht meine Kenntnisse slawischer Sprachen strapazierte. Dass sie ihre Schulbildung in Deutschland erhielt, war keine Frage – Montenegro zählt wie z.B. Bosnien, Ukraine und Frankreich zu jenen Staaten, deren Bildungspolitik sich nur der eigenen Kultur bewusst ist und andere Kulturen und ihre Sprachen ausblendet: Naturwissenschaften, Naturwissenschaften, Naturwissenschaften – wer braucht schon eine andere Sprache als seine Muttersprache? Ich wusste jedenfalls in den letzten fünf Tagen mal wieder, warum ich Russisch in der Schule gelernt habe: So schlecht meine Konversationsfähigkeit auch ist, so wichtig ist es in monoglotten Regionen wenigstens grundsätzliche Züge der jeweiligen Sprachen zu beherrschen –Und bei allem Respekt; kann man eine slawische Sprache, kann man eigentlich alle…
IMG_7696 Statistik:
Grounds: 785 (heute 1 neuer; diese Saison: 17 neue)
Sportveranstaltungen: 1.598 (heute 1, diese Saison: 21)
Tageskilometer: 280 (280 Auto)
Saisonkilometer: 6.190 (5.680 Auto/ 510 Fahrrad/ 0 Flugzeug/ 0 Bahn, Bus, Tram/ 0 Schiff, Fähre)
Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 134
Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 318

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