Freitag, 24. September 2010

W216IV: Von Turku nach Helsinki; Übernachtung im Stadion und die Kiffer von Kronohagen

FC Kiffen Helsinki 2:0 Laajasalon Palloseura Helsinki
Donnerstag 16. September 2010 – Anstoß 18.30
Kakkonen Lohko A („Die Zweite, Gruppe A“ = 3. finnische Liga, 2. Halbprofiliga)
Ergebnis: 2:0 nach 92 Min. (45/47) – Halbzeit 1:0
Tore: 1:0 41. Templar Lokake, 2:0 92. Feras Abid
Verwarnungen: keine, Platzverweise: keine
Spielort: Töölön Pallokenttä (Kap. 4.600 Sitzplätze)
Zuschauer: ca. 100 (davon ca. 10 Gästefans)
Unterhaltungswert: 2,5/10 (Bes. in Hälfte 2 langweilig, aber wenigstens ab und an ein Lichtblick z.B. durch die beiden Treffer)
Sightseeing: 5,0/10 (Helsinki hat wenige Sehenswürdigkeiten inmitten hässlichster Bebauung zu bieten, Turku ist v.a. durch die tolle Burganlage lohnend)
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Photos and English version:
Kiffen Helsinki 2:0 Laajasalon Palloseura
Helsinki (Capital of Finland)
Turku (Oldest Finnish City) + Kaarina Fortress Ruin
By Ferry from Stockholm to Turku and back (Skerries, Islands etc.)

Video:
Kiffen Helsinki scores against LPS!

Endlich wieder Fußball! Nachdem wir gestern mal kein Spiel gesehen hatten, guckten wir natürlich gleich das höchstklassigste Donnerstagsspiel in Finnland. Bevor wir uns in die finnische Hauptstadt begaben, mussten wir allerdings in Turku von Bord gehen, wobei die besoffen andere Fahrgäste anmachenden Finnen ein herrliches Bild von den sozialen Problemen des eintönigen Nordlandes gaben, und schauten uns die älteste Stadt Finnlands an. Diesen Ort sollte man nicht links liegen lassen, weil es einer der ganze wenigen Orte dieses architektonisch unterentwickelten Staates ist, wo es mehr als nur Landschaft – die man aber in Schweden oft schöner hat – zu sehen gibt. Die Burg kann man nicht verfehlen, da sie direkt neben der Straße vom Hafen ins Zentrum liegt. Eine tolle Anlage, die von einem ganz ansehnlichen Park umgeben ist und zum ersten einen älteren, mit dunkler unverputzter Steinfassade versehenen Teil, und zum zweiten einen etwas jüngeren, in hellem Weiß gehaltenen Teil, zu bieten hat. Auffällig sind von außen der dicke, runde, weiße Turm und die einem Kirchturm ähnliche Frontseite zum Meer hin, innen sind schöne romanische Fensterrahmen, Holzübergänge und Verzierungen der verwinkelten Mauern auffällig.
Im Stadtzentrum Turkus – der Göteborger Groundhopper würde mich jetzt wieder bitten: „Please say ’Ǻbo’ – we Swedish don’t like the Finish names“ – finden sich noch ein Dom, mehrere repräsentative Bauten und schöne Bürgerhäuser. Allerdings gehen selbst die schönsten Jugendstilfassaden etwas unter in der Ansammlung von Plattenbauten oder minderwertiger, neuerer Wohnhäuser.
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Im nahegelegenen Kaarina – ein langweiliger Plattenbauvorort Turkus – schauten wir uns die am Rande einer Insel gelegene frei zugängliche Bischofsfestung an. Die äußeren Mauern sind typische Festungsmauern aus starken Ziegeln des 17. Jahrhunderts, der innere Bereich ist etwas älter und ziemlich verfallen.

Halbwegs zügig kamen wir in die 160km entfernte Hauptstadt Helsinki, wo man als erstes über die Minderwertigkeit der Bebauung und dann über die Preise erschrickt. In Stockholm hatten wir für 8€ fünfeinhalb Stunden geparkt, in vergleichbar guter Lage kosteten hier eineinhalb Stunden 8€. Und Helsinki ist wirklich ein Scheißdreck im Vergleich zu Stockholm! Herausragend sind nur der Platz um die strahlend weiße Domkirche – wenn man sich die Stufen hoch gequält hat, hat man Innen aber wenig zu sehen, da die Kirche sehr kahl ist – und die russische Uspenski Katedral, die außen mit verspielten Türmchen und innen mit den herrlichen orthodoxen Ikonenmalereien und Deckenausmalungen beeindrucken kann. Ein paar schöne Fassaden zwischen Barock und Historismus gibt es noch vereinzelt zu bestaunen, nicht uninteressant aber doch eher hässlich sind die Beispiele für den nordischen Monumentalbaustil, den die Nazis um Hitler so toll fanden – doch der größte Teil Helsinkis ist eine Betonwüste wie Hamburg oder Kassel. Das Leben hier kann auch recht hart sein, denn dutzende Rotkreuzmitarbeiter sammelten für Bedürftige; solche Bedürftige wie die bettelnden Alten oder der zerzauste Saxophonspieler vor den Einkaufspassagen. In Skandinavien habe ich bisher auch nicht annähernd so viel Polizei gesehen wie in Helsinki. Die Szene mit der alten Bettlerin, ein Kopftuch halb um die schmutzigen Haare geschlungen, erinnerte mich an einen Comic von Don Rosa, dem Gemäldekünstler und den Comiczeichnern, der eine finnische Sage in einen der typischen Comics von Dagobert und Donald Duck und den Neffen auf Schatzsuche, eingearbeitet hat: die Schlussszene zeigt die böse Hexe, die ihre Zauberkraft verloren hat, bettelnd vor einer Helsinkier Einkaufspassage mit dem Schild „Hexe in Not“.
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Das Navi des Mietwagens fing wieder an zu spinnen, doch wozu haben wir einen Stadtplan Helsinkis? So fanden wir durch den engen – ist aber nicht so chaotisch wie in Stockholm – Verkehr, zum Olympiastadion. In der Nordkurve befindet sich ein Hostel, was für die unmöglichen Preis-Leistungs-Verhältnisse in diesem beschissenen Land sehr billig ist. 47€ pro Nacht für ein winziges Doppelzimmer sind natürlich immer noch viel zu viel. Nicht mal Blick direkt ins Stadion und abgewohnt wie z.B. viele Hotels in Tunesien, die wir dort allerdings für 13€ bis 17€ in zwei- bis dreimal so großen Zimmern mit Bad beziehen konnten. Aber die an der Rezeption waren wenigstens einmal freundlich – sonst ist erschreckend, wie kühl und abweisend die meisten Einheimischen sind – und wussten natürlich über Sport bescheid. So konnten wir uns noch mal vergewissern, wo das Stadion „Töölön Pallokenttä“ liegt, in dem dann dieser Hauptstadtclub mit dem lustigen Namen „Kiffen“ spielt.

Kiffen oder KIF hat aber nichts mit Drogen zu tun, sondern beinhaltet die harmlose Abkürzung „Kronohagens Idrottsforening“ – vom Schwedischen ins Deutsche übertragen: „Kronenweider Fußballverein“. Der Verein wurde bereits 1908 gegründet und war 4 mal finnischer Meister (1913, 1915, 1916 und 1955)! Ab 1978 folgte allerdings ein leistungsmäßiger Absturz.

Der Gegner hieß Laajasalon Palloseura – oder kurz „LPS“ genannt – und stammt aus dem Helsinkier Stadtteil Laajasalo. Dieser Club hat keine Erfolge vorzuweisen, hat sich aber innerhalb von 20 Jahren von der untersten in die oberste Amateurliga hocharbeiten können und spielt seit sieben Jahren sogar dritte Liga.
Kiffen war vor dem Spiel 4. und LPS 5. Unter der Veikkausliiga, einer weniger bedeutenden Profiliga, gibt es zwei Halbprofiligen; die Ykkonen („Die Erste“) und die Kakkonen („Die Zweite“), dann folgen Amateurligen. Dieses Spiel hätte also mindestens auf Oberliganiveau sein müssen, doch selbst die schwachen deutschen Oberligen könnten sich gegen die Kakkonen sehen lassen. Kiffen begann zwar recht offensiv, aber nach einer Viertelstunde lief alles auf Mittelfeldgeplänkel hinaus. Der Gastgeber war vor den lächerlichen 100 Zuschauern, die sich auf der schön in den Fels gebauten Holzbänketribüne verloren – nun gut, parallel lief 300m entfernt das ausverkaufte Toppspiel der ersten Eishockeyliga (Jokerit gegen HJK Helsinki) – die bessere Mannschaft. Nach 40 Minuten wurde das Spiel dann auch wieder schwungvoller und ein Torwartfehler führte zum verdienten 1:0 für Kiffen.

In der zweiten Halbzeit schlief man unter dem schummrigen Flutlicht fast ein. Es passierte außer massenhaft Fehlpässen, Stolperern und einigen vergebenen Chancen für LPS einfach gar nichts. Der Kiffen-Torwart wurde zum besten Mann des Spiels mit seinen guten Reaktionen, die LPS-Stürmer, die oft nicht annähernd ans Tor herankamen mit ihren Schüssen, zu den Versagern. Der Araber Feras Abid erzielte dann völlig überraschend das 2:0 – schneller Antritt, Gegenspieler ausgespielt, sehr überlegt gemacht, gut abgeschlossen: Respekt! – mit der einzigen Chance für Kiffen in Halbzeit zwei, in der Nachspielzeit. Symptomatisch, dass hier nur die Migranten und nicht die Finnen die Tore erzielten. Das Niveau des Spiels war leider nicht besser zu erwarten. Wenigstens gab es ab und an ein paar schöne Szenen in den 92 Minuten.

Etwas Interessantes noch am Rande: die Musik war finnisch-jugendlich – schon eine Stunde vor Anpfiff dröhnte Heavy Metal durch die Stadionboxen – der Stadionsprecher nahm sich ein Beispiel am Eishockey und sagte auch Ecken und so was an und nach dem Spiel stellten sich die Spieler auch eishockeymäßig auf, die jeweils besten Akteure beider Mannschaften wurden ausgezeichnet und dann gaben sich noch mal alle Spieler der Reihe nach die Hände.

Statistik:
Ground Nr. 472 (ein neuer Ground; diese Saison: 22 neue)
Sportveranstaltung Nr. 1.066 (diese Saison: 28)
Tageskilometer: 210 (Auto)
Saisonkilometer: 7.040 (5.140 Auto/ 1.120 Fahrrad/ 400 Schiff, Fähre/ 380 Bahn, Bus, Tram/ 0 Flugzeug)
Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 55
Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 216

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