Donnerstag, 23. September 2010

W216I: In der Hauptstadt Skandinaviens – Stockholm; und: Gästefanquote 85% - das gibt’s auch nur in Väsby

FC Väsby United 3:1 Hammarby IF (Stockholm)
Montag, 13. September – Anstoß 18.30
Superettan ("Die Super-Eins" - 2. schwedische Profiliga)
Ergebnis: 3:1 nach 94 Min. (45/49) – Halbzeit 1:0
Tore: 1:0 33. Niklas Maripuu, 2:0 49. Mikael Wentzel, 2:1 51. Linus Hallenius, 3:1 72. Alagie Sosseh
Verwarnungen: Eldin Kozica, Daniel Sundgren (Utd.); Jose Monteiro de Macedo, Sebastian Castro-Tello, Andreas Dahl (HIF)
Platzverweise: keine
Spielort: Vilundavallen (Kap. 1.750, davon 150 überdachte Sitzplätze)
Zuschauer: ca. 2.000 (davon ca. 1.700 Gästefans)
Unterhaltungswert: 4,0/10 (Hammarby leider sehr schlecht, Väsby mittelmäßig, Stimmung der Gästefans trotzdem klasse!)
Sightseeing: 8,0/10 (Stockholm ist eine sehr sehenswerte Stadt [8,5/10], Väsby hingegen ein emporgekommenes Kaff)
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Photos and English version:
Väsby United 3:1 Hammarby IF
Stockholm (Capital of Sweden)

Video:
Hammarby support during a typical match scene

Nach dem Frühstück kämpften wir uns durch die Morgenrushhour, die in Stockholm um 6 Uhr beginnt, von der Mittagsrushhour abgelöst wird und in die Abendrushhour übergeht. Aber zwischen 20 und 6 Uhr kann man ziemlich frei fahren, an Wochenenden den ganzen Tag über ohne große Probleme. Ansonsten ist halt dazwischen quetschten, Stop-and-Go und Schritttempo fahren auf vier- bis achtspurigen Autobahnen angesagt. Die Stockholmer Citymaut hat ihr Ziel verfehlt: der Verkehr ist weiterhin zu viel, da auch das Netz der öffentlichen Verkehrsmittel nicht ausreicht. Unglaublich eigentlich – auch wenn man bedenkt, dass Stockholm durch die Lage auf dutzenden von Inseln in einem Sund, unweigerlich Engstellen in der Infrastruktur erleben muss: Brücken sind da immer ein Nadelöhr – was für ein Verkehrsproblem diese Stadt hat. So verstopfte Straßen habe ich in Europa nur in Belgrad erlebt. In der vergleichbaren deutschen Hauptstadt Berlin ist der Verkehr gar nicht so wild.

Wenn wir schon Berlin und Stockholm vergleichen wollen – ein durchaus fairer Vergleich, da beide (obwohl Stockholm nur halb so viele Einwohner hat) große europäische Hauptstädte sind – dann muss der sonstige Vergleich aber zugunsten Stockholms ausfallen. In Berlin gehen die 100 attraktiven und sehenswerten Gebäude in der Masse von 100.000 Häusern der Kategorie „architektonischer Abschaum“ unter, während Stockholm einer geschlossene Altstadt (Gamla Stan) in Insellage hat. Benachbarte Inseln – Riddarsholmen, Södermalm usw. – haben ebenfalls etliche Sehenswürdigkeiten zu bieten. Allein die prunkvollen Bauten auf Riddarsholmen lohnen das Laufen durch den Regen, der an diesem Tag mal wieder fast ohne Pause auf Stockholm niederging. Auf den Felsen von Södermalm stehen auch ein paar historische Häuser vor Plattenbauten. Direkt auf der Altstadtinsel sind vor allem das königliche Schloss und die deutsche Kirche – inmitten einer ganzen Menge von sehenswerten Gebäuden aus Barock, Historismus und einigem dazwischen – sehr schön. Die deutsche Kirche ist vor allem innen herrlich ausgestattet mit den beiden Orgeln, Altären, detailreichen Bildern und der reich verzierten Fürstenloge – und übrigens auch so ziemlich das einzige kostenlos zu besichtigende und nicht auf Fotografierverbot bestehende Gotteshaus Alt-Stockholms. Völlig gegensätzlich zu den teueren Sehenswürdigkeiten, dem teueren Parken usw. ist hingegen das Essensangebot zur Mittagszeit. Viele Restaurants bieten Büffets von ca. 11 bis 14 Uhr an, die zwischen 8€ und 10€ (Getränke teils gratis) kosten. Wir gingen im Stadthaus, einem dieser fantastischen 1910er Jahre-Bauten Stockholms (die im selben, zwischen Jugendstil und Expressionismus liegende Technische Uni und das Olympiastadion hatte ich am Tag zuvor besucht), essen. Vom Bau her könnte das Stadthaus auch eine Kirche sein, nur sind statt einem Kreuz die drei Kronen (Tre Kronor) auf dem Turmdach befestigt und absolut ungewöhnlich sind die Mischung aus nordischer Backsteinfassade und ausländischen Details wie einer goldenen Buddhadarstellung und einem goldenen (islamischen) Halbmond. Passt aber zu dieser Stadt und der schwedischen Gesellschaft.

Stockholm ist jedenfalls eine sehr sehenswerte Stadt und kommt im Ringen um die Frage „Was ist die schönste Hauptstadt Europas oder der Welt?“ auf jeden Fall ein Stück hinter Prag, aber zum Beispiel knapp vor Budapest, deutlicher vor Kopenhagen, Bratislava und Ljubljana und klar vor Berlin und Paris. Helsinki ist z.B. ein Scheißdreck gegen Stockholm.
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Wir fuhren dann ein Stück nach Norden, da in Upplands-Väsby, 30km vor den Toren Stockholms, ein sehr interessantes Zweitligafußballspiel stattfand. Väsby ist ein Kaff der Sorte „tiefste Provinz“: Plattenbauten und Industrie ohne Ende, die der Ansammlung von Holzhütten zu Wohlstand verhalfen. Sehr passend zur Gegend auch die Rekonstruktion eines Bauernhofs aus der Wikingerzeit (hölzerne Behausungen und Ställe am Waldesrand) als einzige Sehenswürdigkeit des Ortes.

Von der Beschreibung her klang der Verein Väsby United ganz entfernt nach einem Pendant zu Chmel Blšany, doch während der Verein in Tschechien Kult ist und zu seinen besten Zeiten so spielte, wie Mjällby (ein Dorfverein im besten Sinne und deshalb auch eher vergleichbar) heute in der ersten Liga, ist Väsby United die Neugründung von Opera Cafe Stockholm, ein Kunstverein ohne Herz, Seele oder Fans, der auch in jeder anderen Stadt spielen könnte, als Väsby. Die Zahl der Fans liegt bei 200 bis 300. Oft ist das ohnehin winzige Stadion leer, doch heute strömten Hammarbyfans in Massen. Unterschiedlicher könnte das Duell kaum sein. Das ist Wehen-Wiesbaden gegen St. Pauli! Wehen Väsby mit ihren Modefans und Langweilern werden im eigenen Stadion vom linksgerichteten Anhang von St. Pauli Hammarby nieder gesungen. Doch das ist halt Hammarby: ein echter Kultklub mit langer Geschichte, vielen anderen Sparten neben Fußball, großer Jugendarbeit und genialer Fanszene, die in Deutschland gerne mit St. Pauli verglichen wird; das jedoch nur mit Einschränkungen, da sie nicht von arbeitsscheuen Punks und linken Modefans dominiert wird, sondern von linksgerichteten Proletariern.

Das Umfeld bei Väsby United war jedenfalls noch dämlicher, als vom Ort her von ausgegangen werden musste: das war wie wenn Hansa Rostock im DFB-Pokal auswärts nach Waren muss. Doch der Verbandsligist in Waren an der Müritz hat ein besseres Stadion. Aber die Ordner sind genauso doof, unfreundlich und unprofessionell (für Schweden, wo es sonst viel besser ist an diesem Punkt, eine Schande!) wie in Waren. Der Eintrittspreis von 150 Kronen (ich habe als Student wenigstens nur 100 Kronen/ d.h. 15€ bzw. 10€ - zahlen müssen) ist absolut asozial. Zudem konnte da niemand Englisch. Wir kamen zwar auch auf Schwedisch zurecht, aber nur wirklich ungebildete Schweden können kein Englisch – der Programmverkäufer muss schon verkalkt und die Ordnerin fünf Mal auf der Hauptschule sitzengeblieben sein.

Das Stadion natürlich der letzte Brüller: zwischen Supermarktparkplatz und Nadelwald gelegen, ein Scandic-Hotel direkt dahinter, sind die Umkleiden für die Profispieler in einem Baucontainer hinter der Tribüne untergebracht. Das find ich ja noch ganz sympathisch, aber die Tribüne versaut gleich wieder alles: eine sinnfreie Mischung aus Schalensitzen und Holzbänken, störende Balken und völlig verschmierte Seitenscheiben. Völlig bescheuert, da man auf vielen der 150 eingedosten Plätze gar nicht das ganze Spielfeld sieht! Gegenüber sind die beiden billig zusammen gezimmerten Holz- und Stahlrohrtribünen (rechts 180 und links 210 Stehplätze) schon besser. Hinter dem einen Tor drängten sich dann die dauersupportenden Ultras und Co. von Hammarby auf der 800 Leute fassenden Stehtribüne (ebenfalls Holz und Stahlrohre). Ebenirdisch können noch 410 Leute dazwischen stehen.

Beim Spiel des 16. und Letzten (Väsby) und des 8. Hammarby waren aber so viele Gäste zugegen, dass die Tribünen nicht ausreichten. Einige bezogen gleich am Zaun oder außerhalb der Anlage auf den beiden Böschungen Stellung. Wir stellten uns zwischen Tribüne und Ultrasektor an die Pufferzone. Da ist zwar eigentlich kein vorgesehener Zuschauerplatz, aber die Ordner störten sich weder an uns, noch den anderen dort stehenden Fans. Die Ultras zogen trotz des schwachen Spiels ihrer Mannschaft eine klasse Show ab. 90 Minuten Support und erst nach Halbzeit- und Schlusspfiff Unmutsbekundungen. Vor dem Anpfiff gab es übrigens ein Fahnenmeer mit Vereinswappen in der Mitte und dem Banner „Framåt Hammarby“ = „Voran Hammerdorf!“ zu sehen.

Väsby begann besser, Hammarby kam nur langsam ins mäßige Spiel. Beide Mannschaften hatten enorme Standschwierigkeiten auf dem nassen Rasen, doch viele Fehlpässe und unsaubere und teils mit gelb bestrafte Grätschen von Hammarby ließen sich dadurch nicht entschuldigen. Gegen diesen Drecksverein auch noch ein Tor zu kassieren ist natürlich erst recht scheiße.
Allerdings blieb es in einer zwischenzeitlich besseren zweiten Hälfte nicht bei dem einen Tor. Ein starker Treffer nach Unaufmerksamkeiten in der Abwehr und schon stand es 2:0. Der derzeit beste Spieler bei Bajen, der junge Schwede Linus Hallenius, erzielte aber wenigstens mit einem Hammer unters Tordach den schnellen Anschlusstreffer. Danach zeigte Hammarby aber fast nichts mehr. Man musste sich schon fragen, ob die Wettquoten, die in Schweden bei jedem Profifußballspiel entsprechend der Spielstände durchgesagt oder an der Anzeigetafel angezeigt werden, zu verlockend waren. Das war eine derartig schlechte Leistung, da sah selbst diese Gurkentruppe von Väsby gut dabei aus.

Hammarby und das Spielniveau waren leider eine Enttäuschung, aber die Stimmung der Bajen Fans war erwartungsgemäß topp. Gerade deshalb muss auch mal in den nächsten drei, vier Jahren eine weitere Schwedenreise folgen – dann mal im Oktober, wenn neben einem Heimspiel von Hammarby-Fußball auch Eishockey und Bandy geguckt werden kann!
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Statistik:
Ground Nr. 470 (ein neuer Ground; diese Saison: 20 neue)
Sportveranstaltung Nr. 1.064 (diese Saison: 26)
Tageskilometer: 90 (Auto)
Saisonkilometer: 5.540 (3.980 Auto/ 1.120 Fahrrad/ 380 Bahn, Bus, Tram/ 60 Schiff, Fähre/ 0 Flugzeug)
Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 53
Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 216

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