Montag, 16. April 2012
IND-XXVIII: Praktikum Indien – Notizen (10)
* Neues aus dem Institut *
Seit dem Ende des Osterwochenendes hat sich am SEERI-Institut manches Interessante zugetragen. So kamen ein paar neue Studenten und Lehrende ans SEERI, die alle mindestens halbwegs freundlich waren. Besonders gut ins Gespräch kam man mit Jibin aus Bhopal und Father Francis. Letzterer hat in Rom studiert und mehrere Jahre im Rahmen von Kirchenpartnerschaften zwischen Italien, Indien und Deutschland, in Süddeutschland verbracht. Sein Deutsch ist noch ziemlich gut, sodass er sich lieber in Deutsch als in Englisch mit uns unterhielt. Ersterer ist für einen streng Religiösen sehr ungewöhnlich: normalerweise sprechen die strengen Christen Frauen nicht direkt an. Aber Jibin ist wenigstens in dieser Hinsicht lockerer und kam gleich mit Anja ins Gespräch. Später lernte ich ihn auch kennen: er war ganz begeistert mit Ausländern reden zu können, da er bisher nie welche kennengelernt hat. Mit ihm waren die Unterhaltungen natürlich besonders interessant: Francis kannte sich ja gut aus in Europa, aber für Jibin war es wichtig, möglichst viel über Deutschland zu erfahren. Wir surften ein bisschen durch meine deutschen Flickr-Bilder und die vielen Unterschiede zu Indien machten ihn sehr interessiert an unserem Land: andere Landschaft, ganz anderer Baustil (Burgenlandkreis, Schloss Merseburg, Fachwerk in Quedlinburg usw.), saubere Plätze...
Manche Fragen, die auf einen Deutschen dumm wirken, erklären sich ganz leicht aus den Umständen die in Indien herrschen: Jibin fragte mich zum Beispiel, ob ich als Deutscher denn Deutsch spreche und welche anderen Sprachen ich in Deutschland noch benutze. Ich hätte fast herausgehauen: „also ich kann zwar ein bisschen Türkisch, aber mit den Türken in Berlin kann man sich auch Deutsch verständigen“ – dann fiel mir ein, wie die sprachliche Situation in Indien ist. Für einen Inder ist es etwas seltsam, dass man in einem Land nur eine einzige offizielle Sprache hat und die Leute dann in jeder Ecke des Landes mit dieser Sprache (die sich nur in Form von Dialekten unterscheidet) kommunizieren.
Nach wie vor unverständlich bleibt aber natürlich die ständige Fragerei nach der Religion. Ich habe schon in mehreren Berichten deutlich geschrieben, wie rassistisch die indische Gesellschaft ist: alles und jedes wird getrennt und separiert, ob nach Ethnie, Religion, Geschlecht oder was auch immer, und jeder legt übersteigerten Wert darauf, wo er hingehört. Auch Jibin fand (als erster Inder mit dem ich gesprochen habe übrigens) es sehr kritisch, wie „selbstsüchtig und rücksichtslos“ die meisten Inder sind. Er wolle seine eigene Selbstsüchtigkeit natürlich vollkommen abstellen, da sie zum monastischen Leben nicht dazugehören darf. Die Frage nach Religionszugehörigkeit ist allerdings auch für ihn immer das zweite oder dritte nach Namen und Herkunft. Das ist eine rein christlich-indische Unart. Die Hindus oder Muslime fragen einen nie danach. Selbst wenn man einem Muslim erzählt, dass man Arabisch studiert: denen ist sofort klar, dass man Arabisch nicht wie sie als heilige Sprache, der Sprache des offenbarten Wort Gottes (Koran), ansieht. Aber von Christen wird man dauernd so etwas wie „Du bist doch ganz bestimmt auch Christ! Welcher Kirche gehörst du an?“ gefragt. Da viele Inder absolut intolerant sind und nie über ihren Tellerrand hinausschauen, kann man schnell ein Gespräch abwürgen, indem man dem meist katholischen oder orthodoxen Gegenüber „I’m Protestant“ an den Kopf knallt. Da die meisten Inder nie im Ausland waren (finanziell verständlich, aber man kann sich auch mal informieren und so auch ohne dagewesen zu sein über Länder etwas Bescheid wissen), wird man als Protestant sofort mit der asozialen Pentecostal-Bewegung gleichgesetzt. Da Jibin nicht blöd ist, hat er aber sofort verstanden, dass ein deutscher Protestant mit schwedischen Wurzeln ganz anders als so ein Pentecostal-Ami ist. Es wunderte aber selbst ihn, als ich Leute aus meinem Freundeskreis aufgezählt habe und darauf hingewiesen habe, dass sich darunter Protestanten, Katholiken, Muslime und Atheisten befinden. Er hat natürlich nur orthodoxe Freunde.
Indien bildet in Sachen über „den Tellerrand schauen“ einen besonders starken Gegensatz zu Europa oder dem Nahen Osten, wo die Leute oft Freunde und Bekannte aus anderen ethnischen und religiösen Gruppierungen ganz selbstverständlich haben... Aber immerhin habe ich den letzten beiden Tagen am Institut erfahren, dass es auch außerhalb Palakkads freundliche Inder gibt, die sich über Besuch aus dem Ausland sehr freuen. Am Wochenende sollte ich feststellen, wie unpassend Bemerkungen über ganz Indien sind, da in den wenigstens Dingen alle indischen Bundesstaaten gleich sind. Besonders in Sachen Gastfreundlichkeit sollte sich dann Tamil Nadu nämlich erheblich von Kerala (eher kühl gegenüber Fremden) oder gar Karnataka (richtig unfreundlich) abheben.
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