Donnerstag, 15. September 2011

W267V: Moldawien – Land der Brunnen, der Pferdekarren mit Nummernschildern und des Erstligafußballs zwischen Maisfeldern und Flussufer

FC Nistru Otaci 2:2 FC Zimbru Chişinău
Datum: Samstag, 10. September 2011 – Anstoß: 16.00
Ü.: FC Dnister Ataki – FC Wisent Kischinau
Wettbewerb: Divizia Naţională („Nationale Liga“ = 1. Profifußballliga Moldawiens)
Ergebnis: 2:2 nach 93 Min. (45/48) – Halbzeit: 1:1
Tore: 1-0 32. Alexandru Tcaciuc, 1-1 34. Oleg Molla, 1-2 67. Adrian Patraş (Eigentor), 2-2 92. Sergiu Pogreban
Verwarnungen: Sergiu Cuzneţov, Oleg Şişchin (beide Zimbru)
Platzverweise: keine
Spielort: Stadionul Sătesc Călărăşeuca bzw. Stadion Kalarashovka (Kap. 1.000, davon 300 Sitzplätze)
Zuschauer: ca. 300 (davon Gästefans: ca. 50)
Unterhaltungswert: 7,0/10 (Lahmer Beginn, aber nach einer halben Stunde wurde das Spiel richtig gut – die Tore fielen fast alle nach groben Fehlern, die Atmosphäre sorgte für Pluspunkte)
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Photos and English version:

Nach dem kleinen Frühstück im Hotelrestaurant in Suceava brachen wir gen Osten auf und kamen nach anderthalb Stunden Fahrt über mittelmäßige bis sehr schlechte Straßen – unglaublich, wie die Asphaltstrecken da bis zu 3m tiefe Absackungen auf nur 10m Länge aufwiesen oder plötzlich der Asphalt aufhörte und eine Schotterpiste etliche hundert Meter lang und völlig uneben weiter führte – erreichten wir den kuriosesten Grenzübergang zwischen Rumänien und Moldawien: von Stânca nach Costeşti führt eine Brücke über einen Stausee. Am einen Ende ist der rumänische und am anderen Ende der moldawische Grenzposten.

Nachdem uns die unsympathischen Wichtigtuer die übliche halbe Stunde aufgehalten haben mit ihren Grenzkontrollen (eigentlich nur Pass blöd glotzend durchblättern und mal in den Kofferraum und die Zulassung sowie Grüne Karte gucken) konnten wir noch mehr kuriose Dinge in Moldawien beobachten. Von Rumänen wird ja (auch nicht zu Unrecht) behauptet, dass Moldawien ein Teil Rumäniens sei. Weitestgehend wird man das Gefühl nicht los, dass die ehemalige Sowjetrepublik auch wirklich nur der unterentwickeltste Landesteil Rumäniens ist. Aber wenn man sich im ärmsten Land Europas umhört, bemerkt man die Bedeutung der ukrainischen und russischen Sprache, die im Gegensatz zum romanischen Rumänisch (Moldawisch ist keine Sprache, sondern eine irreführende und nationalistisch gefärbte Bezeichnung für Rumänisch, das von Moldawiern gesprochen wird aber ein und dieselbe Sprache ist wie das Rumänisch in Rumänien) slawisch ist. So sind viele Schilder von Firmen in kyrillischer Schrift gehalten. Auch die Schriftzüge auf den in vielen Orten aufgestellten Lenin Standbildern – neben den orthodoxen Kirchen sind die Lenin-Statuen noch die gepflegtesten Bauobjekte in moldawischen Orten – sind kyrillisch. Die Straßenschilder sind hingegen alle in lateinischen Buchstaben, wobei es nicht gerade viele sind. Am dämlichsten sind die Ausschilderungen nach Brest in Weißrussland (über 600km von Nordmoldawien aus – aber zu Sowjetzeiten, aus denen diese Brest-Wegweiser zu stammen scheinen, waren noch keine zwei Grenzen zwischen Soroca und Brest). Der Straßenverkehr ist ganz lustig zu beobachten: man fährt auf den nicht wirklich mit Geschwindigkeitsbeschränkungen begrenzten, unebenen aber recht breit asphaltierten Straßen stets was Auto und der wellige Bodenbelag hergeben – die alte Ladas schaffen noch 80, neuere Autos fahren oft über 100. Besonders kurios war in Sachen neue Autos die Stretchlimousine mit Tiraspoler Kennzeichen – muss wohl einer der Gangster der sogenannten transnistrischen Regierung chauffiert worden sein.
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Bis Transnistrien, einer abtrünnigen Provinz Moldawiens, die ein noch viel größerer geographischer Witz als Moldawien selbst ohnehin schon ist, ist, fuhren wir nicht. Nach einem kurzen Stopp in Drochia (dort fällt halt die neugebaute Kirche am Kreisverkehr ins Auge – der gegenüberliegende Plattenbau mit dem sozialistischen Kunstwerk davor ist alles andere als neu) fuhren wir nach Soroca, wo am Fluss Dnister (also im Herzen der ansonsten gesichtslosen Häuseransammlung Soroca) die größte Sehenswürdigkeit des ganzen Landes steht: die Burg Soroca. Hier kann man allerdings nicht meckern! Wir hätten auch gerne etwas mehr als nur 3 moldauische Lei (also gerade einmal 0,20€) Eintritt pro Person bezahlt um diese im venezianischen Stil (ja: Venedig beeinflusste auch die Fürsten Bessarabiens, also der Provinz des Adelsgeschlechtes der Bessarab; nicht der Bess-Araber: in Moldawien gab es nie Araber) errichtete Burg zu besichtigen. Auf drei Ebenen kann man feinste Burgenarchitektur – total regelmäßig sechszehneckig mit sechs Türmen – sehen!

In Otaci, einer Ansammlung von verrotteten Dörfern am Dnister (Nistru, dem Grenzfluss zur Ukraine) fallen nur mal einzelne Kirchen, die üblichen Brunnen (fast jedes Grundstück hat in diesem sehr von Landwirtschaft geprägten Land einen Brunnen zum Wasserschöpfen – vielfach gibt es in Dörfern kein fließendes Wasser) und eine Leninstatue vor der Bauruine eines Fußballstadions ins Auge. Dieses Stadion in Otaci sollte wohl die größte Bruchbude der ersten moldawischen Liga, einer Profiliga der untersten Kategorie – aber eben ein Profiliga, deren Stadien meist so wie das hier oder jenes hier aussehen und nicht etwa wie dieses was wir besuchten – ersetzen. Gut, dass Nistru Otaci immer noch in der kuriosen Hütte am Stadtrand im Ortsteil Călărăşăuca bzw. Kalarashovka spielt; flankiert vom Dnister und seinen struppigen Ufern, kargen Maisfeldern, niedrigen Bäumen, aber auch zwei tollen Bergzügen – der Dnister bildet eine ziemlich Schlucht an deren einen Ufer Otaci und an deren anderem Ufer Mogilev-Podolsky liegt – und einer üblen Bruchbude von Gymnasium mit in die Leere führender Fluchttreppe. Hinter den Toren und auf der einen Längsseite (zum Fluss hin) sind verrostete Fangnetze an brüchigen Betonpfählen aufgehängt, auf der Flussseite ist eine uralte Anzeigetafel – per Hand zu bedienen und kuriose Scheiben für Spielpaarung, Ergebnis und Uhrzeit vorweisend – auf der anderen Seite eine völlig verrottete Betontribüne mit zwei Reihen Schalensitze in weiß und blau, einer Reihe Stehplätze dahinter und einem verrosteten kaum hüfthohen Zaun davor. Die Tribüne ist von einem Sprecherturm und Sozialgebäude zweigeteilt. Die Aufschrift „FC Nistru“ ist kyrillisch gehalten. Die Leute hier sprechen auch fast nur Ukrainisch – die Namen der Spieler wie Pyatnikov und Lavrinovic weißen auch klar auf die ethnische Zusammensetzung hin. In dieser kuriosen Bruchbude ist der Zuschauerkomfort aber gar nicht so niedrig: die Sitze sind zwar eng und Stadiontoiletten sind miese Plumpsklos, aber wo ist man zum Zuschauen schon so nah am Feld...
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Es fanden sich trotzdem nur 300 Fans ein (die Zahl bei divizia-nationala ist Schwachsinn: das waren keine 1000, es wurden ja auch keine Eintrittskarten verkauft, weswegen FK Nistru halt irgendwas an die Liga meldete), was auch für die moldawische Liga schwach ist. Ein Sechstel davon war aus der Hauptstadt angereist – verglich man die Fahrzeuge der Fans und die Mannschaftsbusse, sah man schon, wer hier Provinz und wer Hauptstadt war; die dickste Karre auf dem Stadionparkplatz fuhr aber schon wieder irgendein Fettgesicht aus Transnistrien: der Schiri war’s jedenfalls nicht... – und feuerte durchgängig mit ganz netten Melodien an. Die Nistru Fans gingen nur auf Pöbeleien ein oder feierten gute Szenen ihrer Spieler.

Gute Szenen gab es von keiner Seite während der ersten 25 Minuten, doch dann hatte Nistru drei Chancen, von denen sie eine auch verwerteten. Kurz darauf kam Zimbru, die übrigens nach der osteuropäischen Büffelart des Wisents heißen, allerdings zum Ausgleich. Dieser Torwartfehler war noch verzeihlich – aber nach der Pause, in einem immer besser werdenden Spiel, den Ball derartig dämlich ins eigene Tor zu boxen, war nicht mehr verzeihlich. Auch unverzeihlich ist, dass ein Abwehrspieler, der den Ball nur noch berührte weil er ihn rausschlagen wollte, als Eigentorschütze genannt wurde und nicht der Torwart. Der Verteidiger erwischte den Ball doch erst hinter der Linie! Da Zimbru nun mehr Chancen hatte, schien das Spiel gelaufen – doch wenn man aus drei Metern im vollen Lauf an den Pfosten köpft und dann in der Nachspielzeit noch Abwehr- und Torwartfehler verzapft, braucht man sich über einen späten Ausgleich nicht zu wundern. Das 2:2 war am Ende auch verdient.

Wir sahen zu – unter anderem mehrere Pferdekarren mit deutschen Kennzeichen überholend – zur Grenze nach Chernivtsi zu kommen. Dort waren wir erst um 22 Uhr im Hotel. Über eine Dreiviertelstunde brauchten die unfähigen ukrainischen Zöllnern um mit ihren nicht vorhandenen Fremdsprachenkenntnissen mit den Papieren von moldawischen Fahrzeugen und unserem deutschen Auto zurechtzukommen... Im Hotel „Premium“ aßen wir noch zu Abend. Pro Person für ein sehr gutes Steak und einen halben Liter Cola 10€ hinlegen zu müssen, ist für die Ukraine zwar viel zu hoch – aber bei der kitschig eingerichteten, schummrig beleuchteten und von lauter neureichen Leuten besuchten Kaschemme unterm Hotel war nichts anderes zu erwarten: hohe Qualität, sehr hoher Preis halt – aber das Hotel bietet Dreierzimmer für nur 37€ an. Der Standard ist der Hammer: in Deutschland würde man das in dieser Größe, Ordentlichkeit und Möbelqualität nicht für 73€ kriegen!
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Statistik:
Grounds: 628 (heute 1 neuer; diese Saison: 34 neue)
Sportveranstaltungen: 1.354 (heute 1, diese Saison: 40)
Tageskilometer: 450 (450 Auto)
Saisonkilometer: 6.830 (5.900 Auto/ 930 Fahrrad/ 0 Flugzeug/ 0 Bahn, Bus, Tram/ 0 Schiff, Fähre)
Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 72
Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 267

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