Mittwoch, 4. Januar 2012
W283IV: Tizi-n-Test – der Pass des Todes
Photos and English Version:
Trotz leichter Verspätung am Morgen schafften wir das Tagespensum locker. An unserem vorletzten Reisetag – bzw. Connys letztem Urlaubstag – war eine zweite Atlasüberquerung eingeplant. Während Tizi-n-Tichka schon fast Standard ist, ist der Tizi-n-Test nach wie vor ein richtiges Abenteuer. Doch bevor wir uns auf die berüchtigte Passstraße begaben, ging es westlich von Ouarzazate durch teils kahle, teils sehr ansehnliche und stets dünn besiedelte Berglandschaften des Anti-Atlas nach Taliouine. In der Kleinstadt befindet sich links hinter dem Ortseingang auf einer kleinen Anhöhe eine sehr ansehnliche Burgruine. Die Kasbah fällt durch die besonders schön verzierten Lehmtürme auf. Im erhaltenen Teil befindet sich ein Gästehaus, dass sogar WiFi anbieten kann: ein Gast hockte sich mit dem Laptop in den Palmenhain...
Über 260km westlich von Ouarzazate schließlich, weißt ein Schild auf den Weg nach Marrakesch via Tizi-n-Test hin. Während die etwas höhere Passstraße Tizi-n-Tichka eine halbwegs normale Route ist, auch von Touri-Bussen genutzt ist und von jedem, der halbwegs Autofahren kann, zu bewältigen ist, ist die Straße über den Tizi-n-Test eine fahrerische Herausforderung. Die Bedeutung des Namens war nicht herauszufinden, da nirgendwo eine Übersetzung stand, aber Conny und ich meinten, dass Pass (Tizi) des (n’) Todes oder der Angst passen würde und möglicherweise „Test“ eins dieser Wörter bedeutet. Denn an kaum einer Stelle auf 120km Länge kommen zwei Fahrzeuge problemlos aneinander vorbei. Auch überholen geht nur, wenn beide über das bröcklige Kiesbankett der an vielen Stellen schadhaften Asphaltstraße fahren. Leitplanken sucht man an den meisten Stellen vergebens: es geht oft ungesichert mehrere Hundert Meter in die Schlucht. Auf der anderen Seite gibt es steile Felswände, zum Teil überkragend. In einigen verbreiterten Kurven sind Gebäude angebracht, v.a. Ramschläden und Restaurants, doch auf der Passhöhe (2.100m) gibt es sogar ein Hotel. Von dessen Parkplatz ist der Blick in die herrliche Berglandschaft besonders grandios. Ich habe ja schon vieles gesehen: aber so eine krasse Straße in so genialer Landschaft gibt es selbst in den für krasse Passstraßen berühmten Ländern Norwegen und Österreich nicht! Wer sicher und routiniert Auto fährt muss unbedingt mal diese Straße fahren – alle anderen lassen davon bloß die Pfoten!
Je näher man Marrakesch kommt, desto stärker scheint das Tal, dessen Grund man sich nun mit jeder Serpentine und Haarnadelkurve nähert, besiedelt zu sein. Eine ganze Reihe kleiner Dörfer stehen gleichförmig in einer herrlichen Landschaft mit immer unterschiedlichen Felsfarben und -formationen und verschiedenen Pflanzenarten sowie schönen Flussläufen und teilweise sogar Seen. In einem dieser Dörfer steht eine Moscheeruine. Die teilweise wieder aufgebaute und derzeit weiterhin in Restauration befindliche Moschee Tin Mal (oder Tinmel) ist echt einen Besuch wert. Die mehr als 800 Jahre alte religiöse Stätte erinnert nicht unbedingt auf den ersten Blick an den Islam – die quadratische Form mit den klotzigen, Ziegel gedeckten Türmen und den Säulengängen und -verzierungen wirken christlich. Hier muss es sich um eine Stilmischung aus spanischen und arabischen Elementen handeln. Gegen 10dh (1€) ist die Mosche zu besichtigen. Es kommen zwar regelmäßig Touristen vorbei, aber der ganze große Anlaufpunkt ist es aufgrund der gefährlichen Wegstrecke dann doch nicht, sodass der Aufseher und Kassenwart immer für Smalltalk (nur Marokkanisch-Arabisch und Französisch) aufgelegt ist. Irgendwie hatte ich nur den Eindruck, der wollte uns etwas verarschen, als er unter anderem auch fragte, ob wir eine Familie seien. Weite Teile der Stadtbevölkerung mögen in der Hinsicht zwar genauso Ansichten haben wie durchschnittliche Deutsche, aber die ländliche marokkanische Bevölkerung kann genauso wenig wie viele andere Araber, Afrikaner, Ozeanier, Kaukasier oder Lateinamerikaner nachvollziehen, wenn Männer und Frauen, die weder verwandt noch verheiratet sind, gemeinsam auf Tour gehen. Mit Conny sprach er Französisch: „Ist das dein Bruder?“ – Sie: „Ja“ – Er: „Ja, das sieht man...“ Wer uns nicht kennt, dem sei gesagt, dass ich blonde Haare und grau-grüne Augen habe, Conny aber schwarze Haare und braune Augen – wieso er nicht gleich erkannt hat, dass wir Zwillinge sind...
Gegenüber der Moschee befindet sich in wenigen Kilometern Entfernung eine nicht vollendete Bauruine einer Kasbah. Weiter ging es an einem Stausee vorbei auf einen letzten Anstieg, der einen an herrlichen Sandsteinformationen vorbei führte. Bald darauf war Marrakesch erreicht, wo wir uns durch den Stadtverkehr auf die Autobahn drängeln mussten. An einem Rastplatz aßen wir zu Abend. Die Restaurantkette auf diesem Rastplatz hieß „Oasis Cafe“ und bietet leckere marokkanische Gerichte wie Tajine, Kefta usw. an. Die Qualität ist zwar gut, aber die Preise sind fast so hoch wie an einer deutschen Raststätte, also 150-300% der Preise in den einfachen Restaurants, in denen es oft genauso gut ist.
Nun ging es zügig für fast 7€ Mautgebühr 230km über die Autobahn nach Casablanca. Direkt an der Einfahrt ins Stadtzentrum befindet sich dann linkerhand das IBIS, das mein Vater und ich wieder vergünstigt buchen konnten. Mit Conny tauschte ich dann noch Reisefotos, fuhr sie zu ihrer Wohnung und teste dabei auch noch mal ihre guten Nerven als Beifahrerin mit einem richtig knappen Fast-Zusammenstoß beim traditionell-rücksichtslosen Spurwechsel (und die ganze Szene sogar ohne Anzuhalten). Da hab ich schon genug Beifahrer (und vor allem Beifahrerinnen) gehabt, die bei den etwas krassen Manövern, die ich aufgrund meiner Begeisterung für die südländische Autofahrkunst und die Notwendigkeit, sich im Ausland anzupassen, ab und an zeige, nicht nur leicht gezuckt und „oh“ gemeint haben – andere haben schon eine Tüte gebraucht...
Statistik:
Tageskilometer: 700 (700 Auto)
Saisonkilometer: 21.740 (16.820 Auto/ 3.000 Flugzeug/ 1.910 Fahrrad/ 10 Bahn, Bus, Tram/ 0 Schiff, Fähre)
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