Mittwoch, 4. Januar 2012

W282III: Ein etwas anderer Heiligabend – Stadtrundgang und Fußball in Casablanca

Racing Athlétic Club de Casablanca
2:2 (1:1)
Tihad Sportif Club de Casablanca
Datum: Samstag, 24. Dezember 2011 – Anstoß: 14.10
Arab.: Nady ar-Rassîngh ar-Riyadhiy Dâr al-Bayđa´ [نادي الراسينغ الرياضي دارالبيضاء] – Nady al-Ittiħad al-Maghriby Dâr al-Bayđa´ [دارالبيضاء نادي الاتحاد المغربي]
Wettbewerb: Groupement national de football 2 (Botola 2 [بطولة 2] = 2. Marokkanische Profifußballliga, Nationale Meisterschaft 2)
Ergebnis: 2:2 nach 95 Min. (47/48) – Halbzeit: 1:1
Tore: 0-1 21. (Nr. 32), 1-1 38. (Nr. 28), 2-1 50. (Nr. 4), 2-2 73. (Foulelfmeter, Nr. 5)
Verwarnungen: Nr. 4, Nr. 18, Nr. 23 (Racing), Nr. 1, Nr. 7, Nr. 21, Nr. 32 (Tihad)
Platzverweise: Wechselspieler Racing (65., Schiedsrichterbeleidigung)
Spielort: Stade Père Jégo [Mal’ab al-Ab Djîkô / ملعب الأب جيكو] (Kap. 10.000, davon 7.500 Sitzplätze)
Zuschauer: ca. 1.000 (davon ca. 400 Gästefans)
Unterhaltungswert: 8,0/10 (Sehr gutes und ausgeglichenes Spiel mit vielen Torszenen)

Raja Club Athletic de Casablanca
1:0 (0:0)
Jeunesse Sportive El Massira Laâyoune
Datum: Samstag, 24. Dezember 2011 – Anstoß: 20.00
Arab.: Nady ar-Radja´ar-Riyadhiy Dâr al-Bayđa´ [دارالبيضاء نادي الرجاء الرياضي]
- Nady ash-Shabâb al-Massîra ar-Riyadhiy al-’Ayûn [العيون الرياضي نادي شباب المسيرة]
Wettbewerb: Groupement national de football (Botola 1 [بطولة 1] = 1. Marokkanische Profifußballliga, Nationale Meisterschaft 1)
Ergebnis: 1:0 nach 97 Min. (47/50) – Halbzeit: 0:0
Tor: 1-0 73. Zakaria Jaouhari
Verwarnungen: Hossamdine Sanhaji (Raja), Abderahmane Achkoud, Mamado Saw (JSM)
Platzverweise: keine
Spielort: Stade Mohammed V [Murakkab Muħammad al-Khâmis / مركب محمد الخامس] (Kap. 67.000, davon 40.000 Sitzplätze)
Zuschauer: ca. 20.000 (davon ca. 35 Gästefans)
Unterhaltungswert: 8,0/10 (Typisches Spiel der Botola: viel Bewegung, viel Kampf, etliche Torszenen, aber nur ein einziger Treffer – im Übrigen war die zweite Hälfte deutlich besser als die erste und die Stimmung durchweg topp)
IMG_7902
Photos and English Version:

Videos:

Während gewisse Leute aus unserem Bekannten- und Verwandtenkreis – also eigentlich alle von denen – an diesem Heiligabend den ganzen Tag zuhause rumhockten oder noch der Arbeit nachgehen mussten, um dann abends bei der Bescherung im Kreise der Verwandten Weihnachtslieder plärrend zu sitzen, verbrachten wir einen echt schönen Tag in Casablanca, also ad-Dar al-Bayda, auch Maison Blanche, also Weißes Haus, genannt.

Von El Jadida aus fuhren wir doch etwas zu weit nach Norden, sodass wir uns von Sbata an die Küste kämpfen mussten. Aber in diesem Teil Casablancas wurde mal endlich richtig großstädtisch Auto gefahren: vier Spuren, zu fünft nebeneinander, dauernd die Spuren wechseln, Kreuzungen blockieren und viel hupen – und wenn es mal freier ist, dann 60, 70 in der 40er-Zone fahren. So ist’s richtig! Wir kamen erst halb zehn an der Moschee Hassan II, die mit ihrem Minarett der höchste Sakralbau der Welt ist – und nicht nur wegen diesem sehr eindrucksvoll, aber insgesamt auch sehr klotzig rüberkommt – an. Führungen sind immer nur zur vollen Stunde um 9, 10, 11 und 14 Uhr (freitags nur 9 und 14). Diese sind auch teuer und schlecht gemacht, wobei es sicher nicht unlohnend ist, diesen riesigen Klotz der da am Meer thront mal von innen zu besichtigen. Wir sparten uns das aber, weil wir uns um 10 mit Conny verabredeten hatten. Sie wohnt und arbeitet zwar erst 7 Wochen in Casa, aber kennt sich schon sehr gut aus führte uns kompetent durch die Altstadt. Die ist wie viele andere arabische Altstädte ein Symbol alten Glanzes, der ziemlich angegraut und verfallen ist. Es wird viel Handel getrieben in den Gassen. Aufdringlich waren die Händler aber nicht. Zwischen den vielen alten Wohn- und Geschäftshäusern befinden sich auch einige Moscheen, die meist in deutlich besserem Zustand sind. Etwas weiter, im neueren Teil, finden sich diverse französische Einflüsse in der Architektur: Jugendstil, maurischer Stil und Beton-Kirchen. Letztere sind übelste Klötzer, aber viele der Jugendstilgebäude machen echt was daher. Alles in allem ist Casablanca ähnlich wie Berlin: sehr interessant, aber nicht sonderlich attraktiv.
IMG_7946
Für meinen Alten und mich war es das erste Fußballspiel an Heiligabend – für Conny das erste überhaupt im Stadion. Gleich mit Marokko zu beginnen und das auch noch am 24.12., ist natürlich auch topp... Jedenfalls drängten wir uns durch den sehr dichten Verkehr zum gegenüber des ehemaligen Militärflughafens Anfa gelegenen und nach einem frühen marokkanischen Fußballer (Jahrgang 1900, spielte v.a. für Wydad) benannten Stadion, das sich am Südende eines ausgedehnten Komplexes befindet, durch. Der Namensgeber dieses schönen, kleinen Stadions hieß eigentlich nur mit Spitznamen so französisch Père Jégo und mit bürgerlichem Namen Affani Mohamed Ben Lahcen. Das Vater-Jégo-Stadion fasst 10.000 Zuschauer, wobei außer den Hintertorstehblöcken nur Sitzplätze, aber auf recht harten Stufen, zu finden sind. Die Gegentribüne steigt schön steil an, die Haupttribüne ist noch mal in drei Sektoren untergliedert wovon der mittlere überdacht ist. Unter der linken Seite des Daches hatte sich der Racing-Fanclub „Green Fans“ platziert und supportete dauernd mit den üblichen, klangvollen maghrebinischen Gesängen. Rechts davon saßen Tihad Fans, die nur nach den Toren und bei einigen anderen guten Aktionen in Wallung kamen. Alles in allem ging es ungewohnt vernünftig zu.

Lustig war dann noch der junge Mann der vor uns mit seiner Freundin oder Frau saß: der sprach uns nach einer Weile auf Deutsch an. Das hatte er im Studienkolleg in Halle gelernt – der Stadt, wo ich Arabisch lerne. Genial war auch, dass er uns von einigen Spielbesuchen in Deutschland erzählen konnte: er hatte nicht nur Bayern München gesehen, sondern auch Hansa Rostock und – ganz cool – Anker Wismar!

Den rund 1.000 Zuschauern wurde für 20 Dirham (knapp 2€) recht viel geboten: Racing Casablanca (übersetzt: Rennsport- und Athletik-Verein Weißes Haus) und Tihad ad-Dar al-Bayda (sozusagen Sport Club Eintracht Weißes Haus) lieferten sich ein ausgeglichenes, temporeiches, teilweise hart aber nie unfair geführtes Spiel mit etlichen Torraumszenen und schließlich vier gerecht verteilten Toren. Die zwei sind übrigens ziemlich alte Vereine: Racing wurde 1917 und Tihad 1935 gegründet. Zuerst ging nach 20 Minuten der Gast aus dem Stadtteil Ain Sebaâ (der idyllische Name „Siebenquell“ täuscht: Ain Sebaâ ist ein übles Industrieviertel: hinter dem Tihad-Stadion sind gleich Lagerhallen und Tanks) in Führung – gutes Passspiel, sodass ein Stürmer den Torwart umspielen konnte – dann glich Racing noch vor dem Seitenwechsel per Flachschuss ins Eck aus. Nach der Pause war das Spiel immer noch spannend, gut und schnell – also so wie es sein sollte. Nun ging Racing mal in Führung – ein sehr schöner Kopfball unters Tordach – doch 20 Minuten vor dem Ende ließ sich ein Tihad-Stürmer mehr fallen als dass er gefoult wurde, woraufhin der Schiri Elfmeter gab, der erst mal drei Minuten der Diskussion bedurfte und einem Wechselspieler von Racing seine Einwechslung kostete: der bekam nämlich außerhalb des Feldes eine rote Karte wegen unsportlichem Verhalten. Der Elfer wurde sicher verwandelt und obwohl beide Teams noch gute Chancen auf den Siegtreffer hatten, blieb es beim 2:2.
IMG_7975
Nach dem Spiel fuhren wir noch ins sehr ordentliche Viertel Habous. Dort ist in französischer Besatzungszeit ein sehr feiner Nachbau einer mittelalterlichen arabischen Stadt entstanden. Sieht wirklich nett aus und günstig essen kann man dort auch. Besonders cool war der Tipp, den uns Connys Kollegen von der Handelskammer, die wir noch trafen, gaben: zu einer Kamelfleischerei gehen, dort 500 Gramm Hack und 500g Würstchen holen, diese in einem Grill um die Ecke gegen geringes Entgeld grillen lassen, dazu einen Salat und Getränke dort kaufen. Die Kamelfleischer sind zwar nichts für Weicheier und Vegetarier – für letztere eh nicht zu Einkaufen, aber echt nicht mal zum angucken, so wie die ganzen Köpfe (teilweise mit Halswirbel dran und Blättern im Maul) der Tiere da hängen – aber das lohnt sich für alle, die ein bisschen Erfahrungen mit den ausgefalleneren Sachen der arabischen Küche machen wollen.

Wir brachten Conny noch nach Hause – ein Fußballspiel zu Heiligabend reicht ja auch fürs erste – und guckten uns zu zweitt noch ein weiteres Spiel an. Diesmal erste Liga. Raja Casablanca – einer der beiden großen Vereine der größten Stadt Marokkos (der andere heißt Wydad) – spielte gegen meine Lieblingsmannschaft, die aus der West-Sahara kommende Jeunesse Sportive Massira Laâyoune (oder Shabâb Massîra al-’Ayûn). Wenn man den Vereinsnamen mal wieder einer Übersetzung unterzieht, kommt da „Athletik-Verein Hoffnung Weißes Haus“ gegen „Sport-Verein der Jugend des Grünen Marsches Quellen(stadt)“ heraus. Der Grüne Marsch war eine 1975 durchgeführte Propagandaaktion, bei der 350.000 Demonstranten die damals noch vom faschistischen Spanien besetzte West-Sahara betraten, die bald darauf an Marokko gegeben wurde.
IMG_8015
Gespielt wurde im Stadion Mohammed V, was schon eine eindrucksvolle Schüssel ist. Der Sprecherturm ist ganz lustig mit seinen wellenförmig angeordneten Fenstern, wobei die Lautsprecheranlage nicht richtig funktioniert. Die Haupttribüne ist überdacht, die Stehplätze der Kurve und die Pelouse (Gegengerade) natürlich nicht. Auf der Gegengerade, aber auch in einigen Sektoren der Haupttribüne, fallen klaffende Lücken in der Bestuhlung auf. Diese wird einfach des Öfteren geworfen und nicht gleich wieder ersetzt. Kaum hatten wir an einem der Coca-Cola Kassenhäuschen die Pelouse-Karten für knapp 3€ erstanden, wurden wir auch schon vertraut mit den Gepflogenheiten bei Raja. Ganz anders als beim entspannten kleinen Stadtderby in der zweiten Liga gab es selbst bei diesem wenig bedeutenden Spiel viel Stress. Die Polizei schnauzte grundlos mehrere Gästefans an, da die sich ans falsche Kassenhäuschen anstellten; vor dem Einlass zur Pelouse gab es Tumulte, an denen die wirklich unfreundlichen Sicherheitskräfte wohl auch nicht ganz unschuldig waren und innen sah man dann auch, was für Gestalten zu den Rajawy zählen. Manche waren mit Skimasken oder Keffiye-Tüchern vermummt – und die zündelten auch mehrfach während des Spiels und lieferten sich Rennereien mit der Polizei. Die Gräben vor den Tribünen sind zwar so tief, dass es wohl kaum zu einem Platzsturm kommen dürfte, doch das Spielfeld ist nicht außer Reichweite der Bengalo-Weitwerfer in der Kurve. Noch krasser waren ja einige Knalltüten auf der Haupttribüne, die im überdachten Bereich mit Bengalos und Leuchtspuren hantierten, die auch mal im Publikum – von der hintersten in die fünfte Reihe vorgeworfen – landeten. Die Gästefans waren leider nur etwa 35 Mann und nie zu hören.

Die Raja-Spieler auf dem Platz waren leider auch etwa so überlegen, wie die Raja-Fans auf den Rängen. Herrlich, was die Fans für melodiöse Gesänge brachten und wie minutenlang ein Wechselgesang mit extrem langem Text – nicht irgendwie nur „Hansa ... Rostock“: das war richtig kompliziert und ausgefeilt und mit drei Tribünenseiten – durchs Stadion schallte. Auch die Spieler wussten vor allem in der zweiten Hälfte zu überzeugen. Al-Ayoun verteidigte zwar aufopferungsvoll, aber die Sahrawis erspielten sich nur sehr wenige Torchancen – bei den Kontern haperte es enorm bei den Abspielen. 0:0 ging es in die Pause, die knapp 20 Minuten dauerte, doch nach 73 Minuten war der Abwehrriegel mit einem Schuss ins lange Eck geknackt. Der Grundschüler neben mir, der mich immer mal zum mit-pogen animiert hatte, wenn die Jugendlichen mit den Kaputzenshirts vor uns richtig Stimmung machten, umarmte mich begeistert. Schon viel besser als zwei Altersgenossen, die bei uns 10 Dirham für Getränke schnorren wollten...

Das 1:0 sollte auch der Endstand bleiben, wie bei so vielen Spielen in Marokkos höchster Liga. Über Langeweile kann man sich echt nicht beklagen, aber über Chancenverwertung: im Schnitt gibt es ein, zwei Treffer (genau 1,8) pro Botola-1-Partie. 1:0 und 0:1 sind die häufigsten Ergebnisse: Es gab sogar mal vor wenigen Jahren einen Spieltag an dem jedes der 8 Spiele 1:0 oder 0:1 ausging. Aber die Stimmung wie auch das hohe, technisch starke Spielniveau – die geringe Torzahl hatte hier nichts mit defensivem Abtasten zu tun – machen die Botola zu einer wirklich attraktiven Liga!

Wir fuhren wieder nach El Jadida (diesmal sogar ohne jegliches Verfahren) zurück. Die Stadt guckten wir dann auch endlich mal am nächsten Tag an.
IMG_8056
Statistik:
Grounds: 685 (heute 2 neue; diese Saison: 91 neue)
Sportveranstaltungen: 1.435 (heute 2, diese Saison: 121)
Tageskilometer: 240 (240 Auto)
Saisonkilometer: 19.550 (14.630 Auto/ 3.000 Flugzeug/ 1.910 Fahrrad/ 10 Bahn, Bus, Tram/ 0 Schiff, Fähre)
Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 26
Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 282

Keine Kommentare: