Mittwoch, 4. Januar 2012

W282IV: Ein Torreiches Frauenfußballspiel und 103 Minuten Dorffußball vom Feinsten zum 1. Weihnachtsfeiertag

Raja Club Athletic de Casablanca/ D.
9:1 (3:1)
Association Lionnes de Berrechid
Datum: Sonntag, 25. Dezember 2011 – Anstoß: 11.00
Arab.: Nady ar-Radja´ar-Riyadhiy Dâr al-Bayđa´ [دارالبيضاء نادي الرجاء الرياضي] - Nady al-Labuwât Bir-rashîd [برشيد اللبوات نادي]
Wettbewerb: Championat national de football féminin/ groupe sud (Botola li-l-kurat al-qaddam an-nisawiy, madjmu’a djanûbiyya [ مجموعة جنوبية / بطولة لالكرة القدم النسوي] = erste Marokkanische Frauenfußballliga, Gruppe Süd)
Ergebnis: 9:1 nach 90 Min. (45/45) – Halbzeit: 3:1
Tore: 1-0 10. (Nr. 17), 2-0 12. (Nr. 2), 2-1 20. (Nr. 9), 3-1 25. (Nr. 8), 4-1 48. (Nr. 9), 5-1 57. (Nr. 8), 6-1 67. (Nr. 9), 7-1 77. (Nr. 9), 8-1 82. (Nr. 11), 9-1 83. (Nr. 3)
Verwarnungen: keine, Platzverweise: keine
Spielort: Stade Tessema, Complex Beni M’sik [Murakkab Tissîma / مركب تسيمة] (Kap. 3.000, davon 2.500 Sitzplätze)
Zuschauer: ca. 100 (davon ca. 5 Gästefans)
Unterhaltungswert: 5,0/10 (Durchschnittliches Frauenfußballspiel mit heftigen Leistungsunterschieden)


Club Sportif Renaissance El Gara
3:1 (1:1)
Club Sportif Populaire Casablanca
Datum: Sonntag, 25. Dezember 2011 – Anstoß: 14.00
Arab.: an-Nahđa al-Gâra [النهضة الكارة] - Nady ash-Sha’b ar-Riyadhiy Dâr al-Bayđa´ [دارالبيضاء نادي الشعب الرياضي]
Wettbewerb: Championat amateur 2/ groupe centre (Botola 2 li-l-kurat al-qaddam al-hâwiy, madjmu’a wasaţiyya [ مجموعة وسطية / بطولة 2 لالكرة القدم الهاوي] = vierte Marokkanische Fußballliga, 2. Amateurliga, Staffel Mitte)
Ergebnis: 3:1 nach 103 Min. (52/51) – Halbzeit: 1:1
Tore: 0-1 9. (Nr. 10), 1-1 43. (Nr. 13), 2-1 53. (Foulelfmeter, Nr. 16), 3-1 70. (Nr. 13)
Verwarnungen: Nr. 6, Nr. 9, Nr. 18 (Nahda Gara); 2x Nr. 34, Nr. 5, Nr. 10, Nr. 17 (Chaab Casa)
Platzverweise: Nr. 34 (Torwart, 54., Gelb-Rot wg. Reklamieren + Schiedsrichterbeleidigung)
Spielort: Stade 03 Mars [Murakkab Mârs 3 / مركب مارس 3] (Kap. 2.000 Stehplätze)
Zuschauer: ca. 600 (davon ca. 5 Gästefans)
Unterhaltungswert: 8,5/10 (Dorffußball vom Feinsten: richtig gutes und packendes Spiel auf einer herrlichen Sportanlage unter einer Atmosphäre, die dauernd zwischen entspannt und aufgeheizt schwankte)
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Photos and English Version:


Video:


Bevor wir uns auch am 1. Weihnachtsfeiertag dem marokkanischen Fußball widmeten, schauten wir uns endlich die Altstadt von El Jadida, der Stadt, in der wir nun seit drei Tagen übernachteten, an. El Jadida heißt ja eigentlich „die Neue“ oder „Neustadt“ – doch auch Neustadt hat eine Altstadt: das ist eine innen bebaute portugiesische Festung. Ziemlich verfallen (trotzdem UNESCO-Weltkulturerbe) aber kann man sich mal angucken: enge Gassen mit ein paar ganz netten Häusern - auch zwei ehemaligen Kirchen - von hohen, starken Lehmmauern umgeben.


Da Conny etwas anderes vorhatte und auch ihre Kollegin Nathalie keine Zeit, fuhren wir diesmal alleine zum Spiel. Nachdem wir am Vortag die Männer gesehen hatten, schauten wir jetzt die Frauen von Raja. Die spielten vor 100 Zuschauern im Hauptstadion des Sportkomplexes in Beni M’sik gegen Association Lionnes Berrechid (zu Deutsch: SV Löwinnen Aufrechtenbrunn). Die 1. marokkanische Frauenfußballliga teilt sich in eine Nord- und eine Südstaffel, die jeweils 12 Mannschaften umfassen. Die Teams aus Casablanca verteilen sich übrigens auf beide Staffeln: so spielt z.B. Wydad im Norden und Raja im Süden. Die Rajawiya sind Zweiter hinter Mouloudia Club Laâyoune. Die Damen aus der West-Sahara haben die letzten beiden Meisterschaften gewonnen. Finde ich klasse! Pokalsieger wurde allerdings diese Saison (ausgespielt wurde der „Thronpokal“ der Damen am vergangenen Wochenende als Vorspiel zum Herrenpokalfinale) Shabab Atlas Khenifra – der zweite Toppverein im Frauenfußball des Königreiches. Die dritt- und viertbesten Teams sind Raja und Wydad. Richtig abgestürzt ist hingegen Berrechid. Die waren als „FC“ drei Mal Meister, zogen dann mal zurück und sind nun als „Lionnes“ abgeschlagen Letzter. Einzig gegen Khouribga gelang mal ein 1:0 Sieg, doch durch zweimaliges Nichtantreten bei weiten Auswärtsspielen bekamen sie zwei Punkte abgezogen, sodass sie mit einem einzigen Punkt am Ende der Tabelle zu finden sind.
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Noch einmal zurück zum Stadion: es war herrlich mit anzusehen, was in dem Sportkomplex Beni M’sik so los war: fünf Jugendmannschaften trainierten auf den schief und krumm abmarkierten Kleinfeldplätzen, teilweise auf Tore ohne Netze, auf der Laufbahn liefen Mädchen und Jungen ihre Runden, hinter der Gegentribüne spielte eine untere Amateurliga auf ebensolchem sandigen Lehmboden wie die Junioren, ganz am Ende der Anlage ritt jemanden auf einem Sportpferd und links wurde noch auf dem Rugbyplatz trainiert: während die Mädchenmannschaft langsam zum Ende kam, fingen die Männer an mit ihrem Training. Einmal wurden genau gleichzeitig eine Rugby-Spielerin von einer anderen voll weggetackelt und ein Spieler der grün-gelben Amateurfußballmannschaft von einem Spieler der blauen umgesemmelt – da lagen dann gleich zwei mit dem Gesicht im Staub der Sportanlagen...
Der Hauptplatz heißt Stade Tessema und ist benannt nach dem 1987, ein Jahr vor der Eröffnung der Anlage, verstorbenen CAF-Präsidenten Ionekatchew Tessema. Der Rasen war etwas struppig, aber kein Vergleich zum Zustand der Tribünen: abgeblätterte, ausgetretene Stufen und Sitzreihen – zwei Tribünen gibt es, wobei nur die eine überdacht und in drei Sektoren unterteilt ist, während jene gegenüber kleiner und einfacher ist. Ich empfehle die letzte Reihe der Gegentribüne, da man dort mehrere Sportanlagen parallel im Blick behalten kann... Hinter den Toren sind Hecken vor den Stehplätzen bauchhoch angepflanzt, durch den löchrigen, zusammengepfriemelten Zaun sieht man auch ganz gut.


Auf dem Platz entwickelte sich dann das erwartet einseitige Spiel ab der 10. Minute. Nach lässigem Hin- und Her nutzte Raja, deren Spielerinnen vom rein Optischen her – ich meine dabei weniger Attraktivität sondern eher Athletisch-Sein – klar überlegen waren, einen Fehler der Löwinnen-Abwehr zum 1:0. Zwei Minuten später ein klasse Innenpfostenschuss der quer ins hintere Toreck zum 2:0 flog. Danach leistete sich die teure Raja-Torhüterin einen Fehler: die einzige Spielerin der Gäste, die den Ball ganz ordentlich behandelte (die Nr. 9), schoss einen Freistoß direkt aus über 20m per Heber in den Winkel – dabei griff die Torhüterin zu früh nach dem Ball und verfehlte ihn, da wohl die Sicht durch die Sonne beeinträchtigt war. Was ich mit teuer meine? Nun, es gibt ja erste Anzeichen von Professionalität in der Frauenliga: ganze 800€ Rekordablöse kostete Raja die sportliche junge Dame aus dem Atlasgebirge, die heute wenig zu tun hatte. Natürlich kein Vergleich zu den fünfstelligen Summen, die vor allem die Bescheuerten vom FFC Frankfurt (oder auch andere deutsche oder französische Vereine) hinblättern für Spielerinnen – aber die marokkanische Liga ist ja auch leider bei weitem nicht so gut wie die Bundesliga. Aber besser als die Regionalliga (3. deutsche Frauenliga) ist sie schon – auch wenn Marokko nicht die beste afrikanische Frauenliga (ja nicht einmal die beste arabische: Jordanien hat auf jeden Fall eine stärkere, auch wenn weit weniger Mannschaft daran teilnehmen) hat.


Noch vor der Pause erhöhten die Raja-Damen auf 3:1, ehe in der zweiten Hälfte Raja jeden dritten Angriff aufs Tor verwertete, während Berrechid nicht eine einzige Torchance mehr hatte. Der Absturz der Mannschaft aus der Kleinstadt südlich von Casablanca ist nur dadurch zu erklären, dass die ganzen kleinen, jungen, zierlichen Spielerinnen (viele sahen aus wie erst 15, 16 Jahre) eine neue – leider überforderte – Spielergeneration ist. Die erfahrenen, besseren Spielerinnen werden aufgehört haben. Am Ende reichte es zwar doch nicht für den zweistelligen Sieg den ich erwartete hatte, aber 9:1 reicht doch auch schon! Der sichere (männliche) Schiedsrichter musste in diesem fairen Duell übrigens keine einzige Karte ziehen. Teilweise fehlte es aber auch wirklich an athletischer Härte bei den Zweikämpfen, sodass es nicht verwunderte, dass 0 Karten und 10 Tore zu Buche standen. Aber besser als umgekehrt...
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Wir fuhren weiter nach El Gara, einem Kaff 60km südlich von Casablanca. Dort schauten wir ein weiteres Spiel bei freiem Eintritt, in einem noch schöneren Stadion vor sechs Mal so vielen Zuschauern. Es ist nicht ganz einfach das Stadion des 3. März in El Gara zu erreichen. Oberhalb des Ortes auf dem bewaldeten, hohen Hügel thront die Anlage. Vom zentralen Dorfplatz aus muss man nach Nordosten fahren, der Asphalt hört 1,5km vor der Sportanlage auf: nun muss man einen ausgewaschenen Feldweg steil bergan hochfahren. Der Dacia-Mietwagen schaffte das natürlich locker und ein Fan lotste uns ins Stadion, wo wir neben der Tribüne parken durften. Da stand auch u.a. das Auto des Schiedsrichters vor uns. Ein Offizieller des Heimvereins Nahda El Gara (sozusagen SV Wiedergeburt Weiler) lieh uns für die schmutzige Tribüne zum Hinsetzen sogar eine Korkmatte. Über eine schmale Treppe ohne Geländer betraten wir die halbfertige Tribüne. Ein Jugendlicher verteilte bald darauf Orangen – natürlich wurden auch dem unerwarteten ausländischen Besuch kostenlos zweie zugesteckt. Die Gegentribüne ist übrigens erheblich älter, aber auch viel niedriger, sodass der dicht am Spielfeldrand aufgebaute Maschendrahtzaun etwas stört. Der Blick in die Felder und das Waldstück ist von der Haupttribüne aus klasse. Das Spielfeld ist es übrigens auch: hellbrauner, sandiger Lehm. Viel besser als jeder deutsche/ europäische Hartplatz oder Kunstrasen. Auch wenn Rasen natürlich schon ein nettes Luxusgut für den Verein wäre...
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Zu Gast bei En-Nahda war einer von vielen kleinen Vereinen aus Casablanca. Nadi Chaab Riadi (Nady ash-Sha’b ar-Riyadhiyy) aus dem Stadtteil Fida/ Derb Soltan ist der „Volkssportverein Weißes Haus“. Diese sind Tabellenletzter, wobei auch El Gara nicht so viele Punkte mehr hat und noch in Abstiegsgefahr schwebt. Für sie fing es auch nicht sonderlich gut an: einmal unaufmerksam in der Abwehr und schon staubt ein Baydawy zum 0:1 ab. In der Folgezeit entwickelte sich ein tolles, engagiert geführtes, offensives und weitestgehend sauberes Spiel, das klar vom Gastgeber bestimmt wurde. Vor der Pause gelang endlich ein Abstauber nach einem Abpraller des Torwarts nach einem Freistoß. Dieser musste nach der Szene fünf Minuten behandelt werden. In der Pause wurde er ausgewechselt gegen einen komischen Vogel der schon 7 Minuten nach der Pause auffallen sollte. Es gab berechtigterweise Foulelfmeter für El Gara, dieser wurde sicher ins Eck geschossen und dabei der Torwart verladen – und dann behaupteten Spieler von Sha’b - allen voran dieser komische Torwart - die Spieler der Heimelf seien zu früh in den Strafraum gelaufen. Also dem Schiedsrichtergespann konnte man einiges vorwerfen – vor allem gaben sie viel zu viel Abseits; teilweise war das extrem daneben – aber nicht, dass sie diesen Elfmeter zu Unrecht zählten. Da war aber nun ein Tumult auf dem Platz! Der Trainer versuchte den Torwart mit Gewalt zu beruhigen, aber der 34er musste vom Platz. Der bolzte den Ball auf den Acker hinter der Haupttribüne, während es einfach so Tumulte auf der Haupttribüne gab – zwischen Jugendlichen aus El Gara, die sich mit Plasteflaschen, Stücken eines Gartenschlauchs und Obst beworfen hatten. Als es endlich normal weiterging, gab es noch einen dritten Treffer in diesem weiterhin von Nahda bestimmten Spiel zu sehen: ein schöner Pass des ca. 40 Jahre alten Stürmers mit der 18 auf seinen Kollegen mit der 13 – und der netzte prima ins lange Netz ein. 3:1 war der Endstand in diesem hervorragenden (und übrigens 103 Minuten dauernden) Spiel.


Eine Reihe netter Beobachtungen am Rande: 1. einige der Fans hockten auf den Mauern oder an Bäumen, zudem fielen mehrere in sehr klassischen Klamotten wie Wollkutten auf (ebenso fiel die für Marokko geringe Anzahl weiblicher Fans auf), 2. war der Trainer von En-Nahda klasse: der tobte auf der Tribüne rum und dirigierte so das Spiel der Heimelf, und hatte in einem der Tumulte einem Jugendlichen ein einen Meter langes Plaste-Rohr abgenommen, mit der er wild herumfuchtelte, bis er es aus Wut über schlechtes Stellungsspiel eines Verteidigers an der Tribünenbrüstung in zwei Teile zerschlug – und 3. gab es selbst nach dem Spiel noch einfach aus lauter Freude über den Sieg Raufereien zwischen den jugendlichen Besuchern und u.a. dem Trainer von El Gara. Also das war doch echt Dorffußball vom Feinsten!


Über Schlaglochübersäte und durch Asphaltabbruch an den Rändern viel zu schmale Straßen ging es nach Berrechid, wo wir auf die Autobahn gen Casablanca/ El Jadida auffuhren. Da trafen wir uns dann noch zum preisgünstigen Fischessen mit Conny, die den Tag dort und in Azemmour verbracht hatte. Natürlich auch ein nettes Programm, aber es geht doch nichts über viele Tore beim Frauenfußball und viel Tumult beim Dorffußball an so einem ersten Weihnachtsfeiertag! Ohnehin ist das das mit Abstand beste Weihnachten aller Zeiten gewesen: Sightseeing und Sport ohne Ende – und alles von hoher Qualität!
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Statistik:
Grounds: 687 (heute 2 neue; diese Saison: 93 neue)
Sportveranstaltungen: 1.437 (heute 2, diese Saison: 123)
Tageskilometer: 330 (330 Auto)
Saisonkilometer: 19.880 (14.960 Auto/ 3.000 Flugzeug/ 1.910 Fahrrad/ 10 Bahn, Bus, Tram/ 0 Schiff, Fähre)
Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 28
Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 282

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