Montag, 26. März 2012
IND-XVII: Diesmal ein Fußballwochenende in Kochi (Teil 2)
* Lang lebe der Fußballclub des Landes der Kokospalmen! *
„Chirag“ United Club Kerala 3:2 Shillong Lajong F.C.
Datum: Samstag, 24. März 2011 – Anstoß: 15.00
Wettbewerb: I-League (1. indische Fußballliga/ Profiliga)
Ergebnis: 3:2 nach 95 Min. (46/49) – Halbzeit: 1:0
Tore: 1-0 45. Vineeth C. K., 1-1 60. John D. Menyongar, 2-1 60. David Sunday, 3-1 75. Vineeth C. K., 3-2 83. Boithang Haokip
Verwarnungen: Sukhwinder Singh, Sherin Sam (Kerala), John Lalramluaha (Shillong)
Platzverweise: keine
Spielort: Jawaharlal Nehru International Stadium Kochi/ Cochin (Kap. 60.000, davon 30.000 Sitzplätze)
Zuschauer: ca. 150 (davon ca. 10 Gästefans)
Unterhaltungswert: 4,0/10 (Viel Leerlauf, wenige Höhepunkte – toll wie einfach man in Indien Geld mit Fußball verdienen kann...)
Photos and English Version:
Der Vormittag war zum Abgrasen der Sights auf Vypeen Island gedacht. Man könnte natürlich auch auf Fort Kochi ein Fahrrad mieten und das mit der Fähre rüberbringen, aber wir nahmen doch lieber eine Rikscha, deren Fahrer Edward seine Karre "Jerusalem" getauft hatte und uns erst einmal nach Norden zur portugiesischen Festung brachte. Die kannte er selbst noch gar nicht, sodass er sich den kleinen sechseckigen Bau mit uns zusammen anguckte. Für Strandimpressionen fuhr er uns an eine Stelle, wo nur Einheimische unterwegs waren. Für die war es dann ganz lustig, mal Ausländer zu sehen. Ein paar Jugendliche machten Fotos mit uns zusammen... Als Christ konnte Edward uns natürlich noch zu zwei bedeutenden Kirchen lotsen. Die erste war nahe der portugiesischen Festung gelegen und mit den Engelsfiguren am Eingang schon unheimlich kitschig, aber gut gelungen neben eine historische kleine portugiesische Kirche aus dem 16. Jahrhundert gesetzt. Die zweite befindet sich auf dem benachbarten Vallarpadam Island und schießt in Sachen Kitsch natürlich den Vogel ab. Der Rosary Park, der vor der protzigen lateinischen Our Lady of Ransom Church den Lebensweg Jesu nachzeichnet, ist eine ausgefallene und interessante Idee – so albern auch die Ausgestaltung mit den Kunststofffiguren in den Plaste-Baumstämmen ist...
Wenn man die Anzahl und vor allem Pracht der Kirchen in Kerala ins Verhältnis zur fast ebenso hohen Anzahl aber geringen Pracht der Moscheen und eher geringen Anzahl und (wenn überhaupt) alten Pracht der Hindutempel setzt, und zudem in Erfahrung bringen konnte, wie viel Geld davon aus den USA, England, Österreich usw. stammt, weiß man was hier die Stunde geschlagen hat: diverse christliche Gemeinden in Indien stellen arrogant ihren Reichtum und ihre Connections zu teilweise höchst zweifelhaften Gemeinden in Europa und Amerika zur Schau und meinen, sie müssten krampfhaft – obwohl sie nach Muslimen und deutlich nach Hindus nur die drittgrößte Religion in Kerala sind – immer neue und immer schönere Kirchen bauen. Nur damit sie präsenter sind. Scheiß egal ob man die Kirchen nun braucht und voll kriegt bei den Gottesdiensten oder nicht. So eine Bereicherung das ganze aus architektonischer Sicht ist: eine Kirche ist nun mal nicht einfach irgendein architektonisches Bauwerk. Es steht auch eine religiöse Botschaft dahinter und – gerade auch Indien – nicht zuletzt auch ein politischer Inhalt. Dieses penetrante Zuschaustellen beherrschen in Kerala übrigens zwei politisch-religiöse Gruppen ganz besonders: die Christen und die Kommunisten...
Wir ließen uns wieder nach Ernakulam per Fähre übersetzten und latschten in den Nachbarstadtteil Kaloor. Dort sind die Leute keine Touris gewohnt und außerdem noch weitestgehend muslimisch. Interessant, wie dann die Inder – die meistens trotz der Temperaturen reichlich kühl sind – plötzlich doch arabische (also einfach herzliche) Gastfreundschaft kennen! In einem kleinen muslimischen Restaurant, wo man ein Tagesgericht mit gebratenem Fisch, Gemüse und Reis auf einem Bananenblatt statt einem Teller serviert bekam, bediente uns ’Isa aus Calicut. Der war als Muslim ganz begeistert, dass ich Arabisch spreche. Dass wir auf dem Weg zum Fußball waren, fand er auch klasse. Das mehrheitlich muslimische Calicut (Kozhikode) ist ja auch die Fußballhochburg im Bundesstaat Kerala! Wobei er ja lieber Bayern München (indisch englisch natürlich „Baiyaan Mjuunikk“ gesprochen guckt – kein Wunder bei dem Niveau in Indien...
Im riesigen und architektonisch richtig schönen Kaloor International Stadium – bzw. Jawharlal Nehru Stadium – fand ein Erstligaspiel zwischen United Kerala und Shillong Lajong statt. Wir nahmen die mittlere Preiskategorie: 50 Rupien (0,80€) für einen Sitz im Unterrang. Der Oberrang kostet nur 20 und VIP-Sitze 100 Rupien. Man kriegt nicht einmal 7 Liter Mineralwasser oder 2,5l Fruchtsaft für den niedrigen Preis dieser VIP-Logen Plätze! Die Sicht ist natürlich, da das Stadion in erster Linie für Cricket gebaut wurde, nicht so toll, da man sehr weit weg vom Spielfeld sitzt, aber das Stadion ist dadurch regelmäßig oval. Die bunten Sitze, die ihre Farbe je nach Sektor wechseln, befinden sich zumeist im Unterrang. Auf nackten Beton-Stehstufen hält man sich im Mittel- und Oberrang (Gallery) auf. Gerade diese Gestaltung mit drei Rängen ist sehr beeindruckend. Größtes Highlight ist aber die Flutlichtanlage: so filigran geschwungene Flutlichtmasten sind mir bisher in den weit über 500 besuchten Fußballstadien noch nie untergekommen!
Ärgerlicherweise war das Stadion das Beste am ganzen Spielbesuch. Wie Nils schon anmerkte: „Also Action wird’s hier keine geben auf der Tribüne... Hooligans haben’s hier ja echt schwer! Wie willste denn hier ne Schlägerei anfangen?! Über 30 Meter Entfernung ,Ey was guggste mich so blede an? Paar offs Maul?!’ rufen klappt doch sicher nicht...“ Keine Fans und keine Stimmung, also wäre Action auf dem Spielfeld zu erhoffen. Die I-League ist ja schließlich die indienweite oberste Spielklasse, eine Profiliga. Doch viel verdienen kann man da meist nicht und erschreckend ist die Dominanz ausländischer Spieler in Sachen Leistung. Die Torschützenliste liest sich nach 21 Spieltagen so: 1. Soleye von Dempo Goa, Nigerianer (25 Treffer); 2. Okolie von Mohun Bagan, Nigerianer (19); 3. Ozbey, East Bengals, Australier, (14); 4. Moja, SC Goa, Südsudanese (13). Es folgen weitere Kicker aus Nigeria oder auch Mali, Gabun und Brasilien. Der erste indische Torschütze befindet sich auf Rang 12, spielt für Air India und hat 7 Treffer in 21 Spielen geschafft...
Zu den 14 besten Mannschaften Indiens zählen neben den zwei berühmten (East Bengals Club und Mohun Bagan) und den beiden nicht berühmten (Prayag United, Pailan Arrows) Clubs aus Kalkutta, vier Vereine aus Goa (Sporting Clube, Churchill Brothers, Dempo und Salgaocar Vasco da Gama), zwei Clubs aus Mumbai (Bombay) und einem aus dem nahe Mumbai gelegenen Pune sowie je einem Club aus Bangalore und Shillong, auch ein Verein aus Kerala, der die angeblich besten Spieler aus Kerala und ein paar Ausländer zu einer Mannschaft formt. Der Verein wurde auf Geheiß des neuen Sponsors „Chirag Computers“ zu dieser Saison von Viva Kerala in „Chirag United FC Kerala“ umbenannt. Der Spielort wechselt je nach Saison und ob Hinrunden- oder Rückrundenspiel zwischen Calicut, Trivandrum und Cochin. Heute wurde wie oben beschrieben in Kochi, im drittgrößten Stadion Indiens gespielt. Da es der Behörde für Stadtplanung des Großraums Kochi (Greater Cochin Development Authority) gehört, trägt es einen typischen offiziellen Namen: Jawaharlal Nehru Stadium, nach dem ersten Premierminister Indiens. Die Benennung des Stadions ist aber nur eine angemessene Respektsbekundung an einen ungewöhnlichen Politiker: kam zwar aus Allahabad (wörtlich: „Gottesstadt“), war aber Agnostiker; er hatte weder Wahlbetrug noch Kriegstreiberei nötig, was ihn von den meisten indischen Politikern am meisten auszeichnet, und trat für die blockfreien Staaten, ein Wirtschaftssystem zwischen sozialistischer Plan- und kapitalistischer Markwirtschaft und säkulare Demokratie ein. Wobei Letzteres noch das kritischste an seinen Ideen war: er strebte nämlich Atatürk enorm nach.
Gegner für United Kerala war heute ein Club aus Meghalaya, der bereits seit 1983 besteht (das ist lange für Indien!) und in der Landeshauptstadt Meghalayas, Shillong, spielt. Den Vereinsnamen sollte man in einem Rutsch lesen: in der regionalen Sprache Khasi (eine der wenigen Austro-Asiatischen Sprachen Indiens) heißt „Shillong Lajong“ dann „Unser eigener Berggott“. Der Bundesstaat Meghalaya liegt übrigens in dem gebirgigen Zipfel Indiens, der fast vom eigentlichen Land durch Bangladesh im Süden und Bhutan im Norden abgetrennt ist. Schlappe 2.700 Flugkilometer mussten sie und ihre 10 Edelfans zu diesem Spiel zurücklegen. Und noch mal 2.700 zurück...
Den früheren Namen des Heimvereins sollte man übrigens auch als einen Satz lesen: „Viva Kerala Football Club“ bedeutet in der Mischung aus Malayalam, Latein und Englisch „Lang lebe der Fußballclub des Landes der Kokospalmen“!
OK. Nachdem er die Mannschaftsaufstellungen auf schönem Indian-Englisch verlas, hatte der Stadionsprecher lange nichts mehr zu tun. 35 Minuten nur Leerlauf, dann griff Kerala mal das Tor an und verfehlte das Dreieck nur knapp. Plötzlich gab es nicht mehr nur grauenhafte Direktschüsse aus 20 Metern, die 30 Meter daneben gingen, sondern beide Teams brachten die Torhüter ins Schwitzen. Nach je zwei Chancen pro Mannschaften gelang Kerala mit einem schönen Kopfball der Führungstreffer. Gleich darauf hieß es Halbzeit.
Nach der Pause gab es wieder 15 Minuten Leerlauf, ehe Shillong den Ausgleich erzielte. Postwendend kämpfte sich Kerala zur erneuten Führung durch. Nach dieser starken 60. Minute mit zwei Toren in 15 Sekunden dauerte es aber wieder etliche Minuten, ehe sich eine sehenswerte Schlussphase entwickelte. Kerala brachte mit chaotischem Kombinationsspiel den Ball irgendwie noch zum 3:1 im halbleeren Shillong-Tor unter und die Gäste mussten sich mit dem Anschlusstreffer aus knapp 20m ins lange Eck kurz vor Spielende zufrieden geben. Also 20 Minuten ganz sehenswerter Fußball sind für eine solche Profiliga doch sehr wenig und arg dürftig. Ob ich jemals ein gutes Fußballspiel in Indien sehen werde? Ein paar Chancen gibt es noch! Aber ich fürchte, sie werden alle vergeben werden wie die Möglichkeit zum 4:1, als einer der Afrikaner von United Kerala aus 17 Metern mittig vorm Tor einen Fallrückzieher gegen die linke Eckfahne schoss...
Statistik:
Grounds: 717 (heute 1 neuer; diese Saison: 123 neue)
Sportveranstaltungen: 1.487 (heute 1, diese Saison: 173)
Tageskilometer: 50 (40 Autorikscha, 10 Fähre)
Saisonkilometer: 42.230 (23.900 Auto/ 14.820 Flugzeug/ 2.010 Fahrrad/ 940 Bahn, Bus, Tram/ 20 Schiff, Fähre)
Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 40
Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 295
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