Montag, 5. März 2012

IND-IV: Praktikum in Indien – Die Anreise

* Endlose Anreise *

Vor einer Anreise nach Indien ist ja das ein oder andere zu klären: wenn man weiß, wo man hin will oder muss, verschwendet man einige Stunden darauf, ein Visum zu besorgen, dessen Antrag im einfachsten Falle (Touristenvisa) vier Seiten voller Fragen enthält, die teilweise höchst zweifelhaft sind. Nach Referenzadressen in Deutschland und Indien, dem Heiratsstatus und seinem eventuellen Ehepartner samt Geburtsnamen und pakistanischen Verwandten wird man da ausgefragt und die Religionszugehörigkeit muss man angeben. Dabei gibt es nicht die Option „Atheist“ und man darf auch nicht bei „Other“ so etwas wie „Irreligious“ oder „Atheist“ angeben – und dass man sich mit einem deutschen Namen und der Angabe „Muslim“ (statt dem erwarteten und empfohlenen „Christian“) verdächtig machen kann, dürfte auch klar sein. Im Übrigen hat man keine pakistanischen Verwandten, auch wenn man Halb-Pakistaner ist... Wirklich nicht! Die angeblich größte Demokratie (oder größte angebliche Demokratie) [oder zweitgrößte Diktatur] der Welt will man ja nicht in Angst versetzen...
Wenn man dann noch ein Passbild mit den Maßen 2,5x2,5cm (die Fotoläden assoziieren mit diesen Maßen meist ein US-Visum, das die selben bescheuerten Anforderungen an die Passbilder stellt) aufgeklebt hat – genau auf den Vordruck kleben und bei den Unterschriften auch schön im Feld bleiben und nicht drüber klieren! – schickt man die ganze Scheiße (Antrag, Pass, Rückumschlag etc.) an eine Firma, die mit der indischen Botschaft zusammenarbeitet. Nicht wie in normalen Ländern, wo das gleich über die Botschaft geht, nein: es wird mit einer Firma gemeinsame Sache gemacht, damit das Visum noch mal um 10% teuerer wird! Nach bis zu zwei Wochen hat man das Ding im Pass. Ansonsten kann man in Berlin natürlich auch (wie mein häufig in Berlin weilender Kommilitone, der intelligenterweise bei seiner Religionszugehörigkeit ehrlich war und deshalb den Mist noch mal ausdrucken musste) persönlich vorbeischauen und bekommt innerhalb eines Tages mit etwas Glück das Ding in den Pass gestempelt.
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Nachdem alles zusammen war und mein Vater, der natürlich nicht mitreiste aber uns (also Anja und mich) schön zum Flughafen brachte, über Minden (Handball) und Rödermark (Fußball) angereist waren, trafen wir unsere anderen vier Kommilitonen und Mitreisenden: Gohar, Varduhi, Alexandru und Nils, am internationalen Flughafen von Frankfurt. Den verkommenen Vorfeldarbeitern hatte man einen Riegel vorgeschoben, was das Sabotieren des Flugbetriebs durch Streiks anging – wobei Interkontinentalflüge sowieso nicht offiziell betroffen waren – und der Aufenthalt auf dem Airport war auch nicht so unangenehm.

Der Vogel hob fast pünktlich um kurz vor 22 Uhr ab – nachdem er kilometerlang im Schritttempo übers Rollfeld eierte und Flugzeuge von rechts und vor sich vorlassen musste – und brachte uns erstmal in die indischen Hauptstadt. Bei dem Visumsaufwand hätte ich eigentlich befürchtet, dass die Einreise problematischer wäre, aber wenn man sich nicht wie gewisse Kommilitonen so ungeschickt beim Ausfüllen des englischen Einreise- und Zollzettels anstellt, braucht man auch keine 20 Minuten um durch die Kontrollen zu kommen...

Die 8 Stunden Umsteigezeit sollten eigentlich mit einem Ausflug per Metro ins Stadtzentrum von New Delhi rumgekriegt werden, aber auf dem scheiß Flughafen nehmen die Idioten am Gepäckschalter aus Haftungsgründung keine Laptops in Verwahrung – und mit Laptoptaschen wollte (auch aus Gründen des umständlichen Schleppens, weniger wegen der Diebstahlsgefahr) keiner von uns durch die Hauptstadt latschen. Vielleicht machen wir uns aber bei der Rückreise noch (mit dem Zeug in einem Rucksack) auf den Weg in die Innenstadt. So brachte ich die ewige Umsteigezeit unter anderem damit herum, mit dem Laptop zu arbeiten. Der muss aber erstmal in eine Steckdose gepfriemelt werden. Ein freundlicher junger Inder half auch gerne dabei: denn besser als jeder wacklige Zwischenstecker ist ein dickes Buch oder eine kleine Tasche vor dem lose in die wacklige Steckdose gesteckten EU-Stecker. Teilweise geht auch beides: der EU-Laptop-Stecker in einen Zwischenstecker und den dann mit einem solchen Gegenstand gegen die Steckdose in der Wand drücken. Einen anderen Fluggast – einem der besonders klischeehaften Sorte des Inders mit Turban, Telefon am Ohr und starrem Blick – faszinierte meine Konstruktion übrigens richtig: der hätte wohl nicht gedacht, dass ein Europäer mit den üblichen Unannehmlichkeiten seines unorganisierten Landes durch Improvisation zurecht kommt...

Nachdem wir endlich von New Delhi nach Kochin im südlichen Bundesstaat Kerala geflogen waren, wurden wir dort von einem Bekannten des Institutsleiters mit einem Geländewagen abgeholt. Der Achtsitzer war gut ausgelastet: der einzige freie Sitz wurde mit drei Gepäckstücken beladen. Zwei mussten Gepäck auf die Knie nehmen, zwei Gepäckstücke passten noch in den winzigen Kofferraum hinter der dritten Sitzreihe und die restlichen fünf oder sechs kamen – nur mit Seilen befestigt – aufs Dach. So fuhr unser sehr erfahrener Chauffeur dann die 80km vom Flughafen zum Institut in knapp zwei Stunden bei Spitzengeschwindigkeiten von 90km/h (teils innerorts) und vielfach Mittel- statt Linksverkehr. Soll heißen: zum Überholen – was er bei den größtenteils unheimlich inkompetenten Verkehrsteilnehmern, die außerorts mit einem neuen Auto 40km/h fuhren, und den vielen alten Fahrzeugen sehr oft machte – fuhr er dauernd auf dem Mittelstreifen und damit halb auf der rechten Spur. Bergan in einer kurvenreichen, teils holprigen aber stets asphaltierten (nur selten beleuchteten oder abmarkierten) Strecke mit dem Übergepäck zu überholen, ist übrigens besonders geschickt! Wirklich gute Arbeit, was der Fahrer da ablieferte!

Im Institut saßen wir noch mit Institutsleiter Vater Jakob und Clint, einem us-amerikanischem Studenten aus Ohio, der sich mit Christian-Muslim Relations befasst, bis zwei Uhr bei der in der Fastenzeit der indischen Christen stets fleischlosen einheimischen Kost zusammen. Danach hieß es – wie es sich für ein christliches Institut gehört – die Herren in den linken Teil des Komplexes, die Damen in den rechten und keine Störungen und Besuche mehr...
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Statistik:
Kilometer heute: 8.300 (8.220 Flug, 80 Auto)
Saisonkilometer: 41.280 (24.440 Auto/ 14.820 Flugzeug/ 2.010 Fahrrad/ 10 Bahn, Bus, Tram/ 0 Schiff, Fähre)

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