Mittwoch, 14. März 2012

IND-IX: 16 Stunden im Bus für 4 Stunden Sport und 4 Stunden Sightseeing – das erste Wochenende in Indien (Teil 1)


* Küste, Kirchen, Kommunismus und Fußball in Kozhikode *

Mumbai Football Club 2:1 Indian Army XI
Datum: Samstag, 10. März 2011 – Anstoß: 18.45
Wettbewerb: Erambala Krishnan Nayanar Memorial Gold Cup, Group A (Spiel der Gruppe A: I-League, 1. Indische Profifußballliga gegen Services Sports Control Board, 3. Liga/ 1. Amateurliga)
Ergebnis: 2:1 nach 96 Min. (48/48) – Halbzeit: 1:0
Tore: 1-0 17. Nicolas Rodriguez, 2-0 68. Chhangte Malswamkima, 2-1 78. Laxman Murmu
Verwarnungen: Ebi Sukore Throphilus (Mumbai)
Platzverweise: keine
Spielort: Kozhikode/ Calicut, EMS Municipal Corporation Stadium (Kap. 35.000 Sitzplätze)
Zuschauer: ca. 5.000 (davon ca. 100 Armee-Leute und mind. 2 Mumbai-Fans)
Unterhaltungswert: 4,0/10 (Ein paar schöne Tore und Torschüsse gab es von beiden zu sehen, aber ansonsten war das ein ziemlich schwaches Gekicke)
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Photos and English Version:

Während sich unsere Kommilitonen lieber in Thiruvananthapuram und Kovalam Beach übers Wochenende aufhalten wollten, fuhren Anja und ich sieben Stunden mit dem Bus nach Kozhikode (Calicut). Gestartet sind wir schon um kurz vor 5 Uhr morgens, da Father Jacob mit seinem Auto zur Inspektion nach Kochi oder so musste und uns erstmal zur Bushaltestelle fuhr. Die Busse brauchen nur deshalb für die 270km lange Strecke so lange wie oben erwähnt, da die Straßen viel überfüllt sind, zu schmal angelegt wurden oder auch manchmal so steil sind, dass die alte Maschine des Busses nur im ersten Gang bei Tempo 5-10 hoch kommt. Ansonsten fahren sie schneller als viele Autofahrer. Es ist unglaublich, wie dumm sich viele Inder beim Autofahren anstellen. So ungeschickt und langsam fährt in Deutschland oder auch in arabischen Ländern und auf dem Balkan nicht mal eine Fahrschule. Die Busse lohnen sich für einen Touristen übrigens gegenüber einem Mietwagen gewaltig: man kann zwischen allen mittleren und großen Städten jede Stunde einen Bus erreichen (auch Sonntags um 3 Uhr morgens!) und für 100km Strecke zahlt man etwa 80 Rupien (1,30€) und der Busfahrer kann sich mit den Idioten, die nicht wissen wo Gas und Bremse sind, rumschlagen – Mietwagen kosten mit allen Gebühren etwa halb soviel wie in Deutschland und 1 Liter Benzin liegt bei 1,10€ (Diesel 0,75€). Vielleicht fahr ich an einem anderen Wochenende auch mal selber, aber nur, wenn mir jemand sein Auto leiht und nicht mit einem Mietwagen. Übrigens fahren die Busse häufiger und verlässlicher als Züge, in denen die Unfallgefahr auch höher ist. Kippt der Bus um, kann man durch die Fenster rausklettern. Passiert dem Zug so etwas, kommt man wegen Gittern vor den Fenstern (auf so etwas Hirnloses kommt man glaube ich auch nur in Indien) nicht raus, weswegen Zugunglücke in diesem Land schnell dreistellige Todesopferzahlen fordern. Apropos Fenster im Bus: die drei Buskategorien gehen nach dem Zustand der Fenster – die höchste Kategorie hat Fenster und Klimaanlage wie in Deutschland, die mittlere (mit der wir nach Kozhikode fuhren) hat stets halboffene Schiebefenster und eben keine Klimaanlage und die untere Kategorie hat einfach mal gar keine Fenster außer Front- und Heckscheibe. Wenn’s regnet, werden Jalousien runtergezogen.

In Kozhikode (früher Calicut) angekommen, fanden wir im sechsten Anlauf in einer Nebenstraße der mit Hotels (Indisch: Hotel and Lodging oder Lodge) und Restaurants (Indisch: Hotel) gepflasterten Mavoor Road neben dem Stadion ein Zimmer. Alles ziemlich strikt muslimisch, fast nur indische Männer in dem Hotel, etliche Schilder mit Alkoholverbot – aber wenn man als unverheiratetes Paar dort eincheckt, stört das dann doch keinen. Ein einfaches Doppelzimmer in sehr ordentlichem Zustand mit Ventilator und Bad kostete gerade einmal etwas über 8€ pro Nacht.

Kozhikode ist ein Wochenendausflugsziel, weswegen wir auch in den fünf Hotels direkt an der Hauptstraße stets zu hören bekamen, dass alles ausgebucht sei. Der Name heißt übersetzt „Dichtes Dickicht“, da diese Stadt in eine entsprechende Landschaft gebaut wurde, und wird übrigens „Korrrikodd“ gesprochen. Das „zh“ ist ein sehr starkes „r“. Jeder weiß aber, dass Calicut „Källiket“ dasselbe ist: wenn man auf der Suche nach dem richtigen Bus an der Haltestelle ist, fragt man halt nach einem Bus nach Calicut. Die arabische Aussprache Qaliqût wird wohl auch verstanden: die Araber waren auch die ersten, die dort Handel aufbauten. Die Küste, an der diese Seefahrer anlandeten, kann einen Strand vorweisen, der auf ein paar Kilometern für Familien (vor allem natürlich jene der oberen Klassen) recht ordentlich hergerichtet ist. Je weiter nach Süden, desto mehr Dreck, Abwasserzuleitungen und streunende Hunde. In der Stadt selbst fand ich es auch interessanter als am dünnen Sandstreifen, der sich am Indischen Ozean entlang zieht. Kleine und mittlere, sehr europäisch aussehende Kirchen und kleine Moscheen, die einen farblich gut gelungenen, aber recht primitiven Baustil haben und so überall in der Welt stehen könnten, dominieren das Bild der Sakralbauten. Die Anzahl der Hindutempel ist eher gering. Die Privat- und Geschäftshäuser sind meist primitive Betonbruchbuden, doch es gibt auch (am Ende der Mavoor Road) einen derb großen und klotzigen Geschäftsbau aus Glas und Metall. Was übrigens alles dominiert sind die Banner der kommunistischen Partei. Zum gestern abgelaufenen 20. Kongress wurde die ganze Stadt rot beflaggt. Überall Hammer und Sichel, Marx und Engels, Lenin und Stalin. Dazu Porträts einheimischer kommunistischer Politiker wie Erambala Krishnan Nayanar. Lautsprecherwagen mit Propaganda in Malayalam fuhren durch die Gegend. Die ganze kommunistische Propaganda wirkte in diesem streng religiösen Land irgendwie surreal.
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Nach einem wirklich guten und mit 200 Rupien (3,20€) wirklich billigen indischen Essen – dem ersten vollwertigen seit einer Woche: im Institut gibt es ja derzeit kein Fleisch – in einem sympathischen kleinen Lokal an der Mavoor Rd., gingen wir dann ins Municipal Corporation Stadium, dem Stadion der Gemeindebehörde. Die Zusatztribüne kostete akzeptable 60 Rupien (0,90€) – aber die normalen Sitzplätze auf der Haupttribüne waren mit 200 Rupien sehr hoch. Damit kann man wie gesagt locker zu zweit Essen gehen. Wir setzten uns auch auf die wacklig mit Metallrohren und Holzplatten – roter Teppich drüber und Plastestühle drauf gestellt – zusammengepfriemelte Zusatztribüne. Falls wir nächstes Wochenende noch mal kommen (dann sind Halbfinals) gönnen wir uns aber mal die Haupttribüne, die in zwei Rängen um 65% des Feldes herumgebaut ist. Die Architektur ist zwar ansprechend, aber reichlich ergraut.

Fußball ist auch nicht der wichtigste Sport in Indien – dazu werde ich mit später auch mal noch auslassen – sodass bei diesem Turnierspiel, an dem weder die Heimmannschaft noch ein Toppteam teilnahmen, der Besuch von knapp 5.000 Zuschauern schon sehr gut war. Das Duell zwischen Mumbai FC und Army XI war Teil des E.K. Nayanar Memorial Gold Cup, der von der kommunistischen Partei jedes Jahr veranstaltet wird. Bei diesem Pokal kann man für seine Mannschaft ein Preisgeld von umgerechnet immerhin fast 25.000€ gewinnen. Der Zweitplatzierte nimmt noch 17.000€ mit heeme. Im indischen Englisch ist so eine Preisgeldangabe übrigens eines der wenigen Dinge, die auch für einen englischen Muttersprachler unverständlich sind – solange er sich nicht auskennt, jedenfalls. Die Zahlen beim Einkaufen und zu den meisten anderen Angelegenheiten sind ja nicht so problematisch: Freitag habe ich z.B. etliche Liter Getränke und 400g Kekse für „Three Twentyfive“ [spricht man etwa so wie: triii twändi faiff] gekauft. Das sind dann 325 Rupien (= 5,20€). Aber wer weiß schon, wie viel „Rs. 15 lakhs“ Pokalpreisgeld sind? Lakhs wird wie der Fisch „Lachs“ gesprochen und ist wohl auch ein indogermanisches Wort mit der ursprünglichen Bedeutung von „Fisch“. Man muss einfach die Zahl mal 100.000 nehmen und erhält dann die Anzahl Rupien: also 15 lakhs = 15 x 100.000 = 1.500.000 Rupien, d.h. 24.590 Euro.
Wenn man nach Einwohnerzahlen der Stadt Kozhikode fragt, bekommt man übrigens von einem der Ahnung hat für die Stadt die Summe von „4 lakhs people“ und mit Umland eine von „20 lakhs people“ gesagt. Also falls man jemanden findet, der einem das in Englisch erklären kann: denn etliche Leute in Kozhikode können nicht mal rudimentär Englisch. Nur mit 20% oder so kann man wirklich kommunizieren, was für Indien ein extrem schwacher Wert ist.

Unter gar nicht mal so schlechtem Flutlicht wurde dann eine erwartungsgemäß mäßige Partie nach Abspielen der Nationalhymne angepfiffen. Army XI ist die Auswahlmannschaft der indischen Armee und spielt in einer der drei in New Delhi ansässigen Gruppen der höchsten Amateurliga – die anderen sind die Eisenbahnerliga (Railway Sports Promotion Board) und Delhi Soccer Association League (für normale, d.h. private Vereine). Im Übrigen hat diese dritte Spielklasse noch 32 weitere Gruppen.
Mumbai FC ist ein privater Club, der sich in die erste Liga gespielt oder gekauft hat. Der Spielausgang sollte eigentlich auch klar sein, wenn eine Profimannschaft aus der 14 Teams umfassenden, landesweiten Liga (etliche Auswärtsfahrten betragen dort um die 4.000km hin und zurück!) gegen eine solche Armeeauswahl kickt. Auch wenn Mumbai FC noch in Abstiegsgefahr ist. Aber wenn man nur die Reserve mit den ganzen Jugendspielern und Zweite-Garde-Leuten schickt, weil man am wichtigeren IFA Shield in Kalkutta teilnimmt, der gleichzeitig ausgespielt wird, kann es schon mal eng werden.

Mumbai war schon die bessere Mannschaft: weniger Abspielfehler, bessere Schüsse – aber die Armee setzte die Profis, bei denen man sich auch durchweg fragte, warum die Geld bekommen, schon ab und an unter Druck. Das Spiel hatte maximal das Niveau eines Saalekreispokalspiels zwischen Kreisoberliga und Kreisliga. Nach einem strammen Schuss bekam der Torwart der Armee den Ball nicht mehr abgewehrt. 1:0. Nach dem 2:0 (verdeckter Schuss und unsicherer Torwart) Mitte des zweiten Spielabschnitts wurde das Gekicke besser. Eine Viertelstunde vor Schluss erzielte die Armee, die von mehr Zuschauern unterstützt wurde als der Erstligist – die meisten Leute waren allerdings neutral wie wir – mit einem tollen Weitschuss, der knapp unterm Winkel landete, das 2:1. Zu mehr reichte es dann aber nicht mehr.

Das war also der erste Spielbesuch in Indien: ein Turnierspiel zwischen einem Erst- und einem Drittligisten, das von der kommunistischen Partei organisiert wurde...
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Statistik:
Grounds: 713 (heute 1 neuer; diese Saison: 119 neue)
Sportveranstaltungen: 1.480 (heute 1, diese Saison: 166)
Tageskilometer: 270 (270 Bus)
Saisonkilometer: 41.550 (23.900 Auto/ 14.820 Flugzeug/ 2.010 Fahrrad/ 280 Bahn, Bus, Tram/ 0 Schiff, Fähre)
Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 38
Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 293

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