Montag, 5. März 2012

IND-V: Praktikum in Indien – Notizen (1)

* Erste Eindrücke von Kottayam *

Photos of Kottayam, State of Kerala (India) with English description:
http://www.flickr.com/photos/fchmksfkcb/sets/72157629154170580/detail/


Bei der Fahrt vom Flughafen durch die nächtliche Landschaft zum Institut in Kottayam fiel es schon auf: man sieht auch am Tag nicht viel mehr, da die tropische Vegetation derartig dicht ist, dass man im Küstenhinterland außer grün nicht viele andere Farben sieht. Wie in Schwarzafrika auch, ist die Temperatur der Wahnsinn: man braucht nur aus einem klimatisierten Gebäude (im Institut stehen die Ventilatoren niemals still) oder Fahrzeug (die Klimaanlage steht immer zwischen Mittel und Maximum) auszusteigen – und schon bilden sich Schweißperlen auf der Haut. Vor allem fällt das auf den unbedeckten Stellen unangenehm auf, sodass es nicht verwundert, dass viele hier wie ich mit langen dünnen Oberhemden in mehr oder weniger auffälligen hellen Farben herumlaufen. Für Frauen sind die berühmten Saris natürlich ein beliebtes Kleidungsstück. Wer das Klima nachempfinden will: in einen guten botanischen Garten mit Tropengewächshaus gehen und mal am besten eine Stunde dort herumgucken. Dieses scheiß feucht-heiße Klima haben wir 24 Stunden am Tag: immerhin regnet es hier erst ab Mai wieder, aber selbst in der Nacht geht es kaum unter 25 Grad.
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Das Institut in Kottayam war wie erwartet für einen indischen Gebäudekomplex ziemlich gut. Mehrstöckige Ziegelbauten, einfache aber ordentliche Studentenzimmer – aber bei den Temperaturen stören weder die kalte Dusche, noch das Röhren des Ventilators – mit moskitonetzüberdachten Betten. Im Innenhof werden Tiere gehalten, die man in Deutschland nicht so halten dürfte, aber auch Pflanzen angebaut und das Geschirr gespült. Doch viele andere Häuser – selbst im Bildungszentrum Südindiens, was Kottayam durch seine vielen Bildungseinrichtungen und der angeblichen Alphabetisierungsrate von 100% (jeder weiß, dass dies hier aber eine Propagandazahl ist [vllt. sind es 90% oder sogar noch etwas mehr] und ausdrücken soll, wie überdurchschnittlich viel Wert auf Bildung in dieser Stadt und Region Kottayam gelegt wird) sind weit weniger gut bis abbruchreif. Auch die Straßen sind nicht nur pervers voll – dabei gibt es hier gar nicht so viele Menschen (60.000 Einwohner) und wenige Straßen; die Motorisierung wirkt hier ähnlich hoch wie in Deutschland, auch wenn das eigentlich gar nicht sein kann – sondern auch extrem dreckig. An Bus- und Bahnhöfen, Parkplätzen und Brachen wird hemmungslos Müll hingeworfen, in dem Straßenköter wühlen. Auch die Straßenzüge, in denen sich die primitiven Straßenmarktstände befinden, sind aufgrund des lässigen Umgangs der Straßenhändler mit dem Müll – der teilweise sogar Gedärme geschlachteter Tiere umfasst – belegt. Wenn man schon vorher wusste, was einen hier erwartet, erschreckt einen aber nicht einmal das.


Aufgrund dessen, dass viele Inder (so auch die Leute in Kottayam oder wahrscheinlich auch Kerala generell) eher zurückhaltend bis abweisend sind, kann man aber ganz locker durch die ganzen Straßen gehen. Ein paar Hundert Meter von unserem Institut entfernt befindet sich das Fußballstadion (Fußball und Basketball sollen in Kottayam ungewöhnlicherweise beliebter sein als Cricket – dann kommt die einheimische Kampfkunst Kalarippayat) von Kottayam, wo unter anderem der Drittligist Cosmos F.C. kickt. Man stelle sich einmal vor, ein Stadion einer Mannschaft der 3. Liga (oder auch nur der Landesliga, mit der diese bundesstaatsweiten Amateurliga vergleichbar ist) wäre eine heruntergekommene, dreckige Betonschüssel, deren sandiger Rasenplatz offen für alle Hobbysportler ist, dessen Gegentribünenrückseite von Ramschmärkten und Werkstätten zugestellt und Haupttribüne und Kurve mit ihren Bäumen dem ein oder anderen Obdachlosen als Schlafstätte dient. Das ist das Nehru Stadium Kottayam!


Ansonsten gibt es in der Stadt einige Kirchen und wenige Hindutempel und Moscheen zu sehen, von denen ich im Laufe meines Aufenthaltes ein paar mehr Bilder einstellen werde. Neben den vielen Bildungseinrichtungen gibt es übrigens auch überdurchschnittlich viele Verlage in Kottayam, von denen viele allerdings nur malayalamsprachige Zeitungen herausgeben, was für die meisten Leute außerhalb Keralas nicht einmal lesbar ist... Wer mal so ein Schriftstück lesen will, bitte: ein Gedicht in Malayalam. Verkehrsschilder sehen übrigens so wie dieses in Kasaragod aus.


OK. Nachdem wir über die Qualität des vegetarischen Mittagessens erstaunt waren und über die Institutssekretärin die Unterlagen für die Einwanderungsbehörde abgegeben hatten, gab es eine einführende Unterrichtsstunde ins Syrisch-Aramäische. Wir sechs blieben noch bei der darauffolgenden Unterrichtsstunde im Saal, als ein Priester Kirchengesang mit einheimischen Studenten übte. Gesungen wurde in syrisch-aramäisch mit Kerala-Akzent, d.h. manche für semitische Sprachen typische Laute werden vereinfacht. Als Gohar anfing, die Gesangsdarbietung des Priesters mitzufilmen, folgten auch diverse indische Studenten diesem Beispiel und hielten ihm ihre Handys und Smartphones vors Gesicht...


So viel also zum ersten Tag in Kottayam.
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