Donnerstag, 22. März 2012

IND-XV: Praktikum in Indien – Notizen (6)

* Vom hinduistischen Tempelfest, dem Ärger ums ewig selbe Essen und einer Anekdote von einer Horrorbusfahrt... *


IMG_4310
Dieser Montag war interessanter als andere Montage hier am Institut. Beim Frühstück gaben Alex und Nils Anekdoten von der fünfstündigen Busfahrt von einem Wildtierreservat bei Munnar zurück nach Kottayam zum Besten. Sie hatten noch den 21-Uhr-Bus – den für mehrere Stunden letzten Bus nach Kottayam also – erwischt. Der brachte sie auch bis 2 Uhr nachts in die Stadt, doch die Fahrt war ein Indien-Abenteuer übelster Sorte: die 60 Sitze alle voll und noch mal mindestens genauso viele Menschen im Gang stehend und hockend. Unter den Fahrgästen einige besoffene Asoziale: auch hackedichte Mütter die ihre kleinen Kinder schlugen und anderen Fahrgästen auf die Hose kotzten. Man konnte im Stehen schlafen, da die Fahrgäste so derartig gedrängt im Gang standen. Bei Kurven fuhr der Bus mitunter auf zwei Rädern – irgendwie kam die Schrottkarre aber ohne Unfall durch. Da einige besoffene Fahrgäste stritten und einen Typen während der Fahrt aus dem Busfenster werfen wollten, drehte sich der Fahrer selbst bei über 60km/h auf einer engen kurvenreichen Strecke immer wieder nach hinten um und schnauzte die Asis voll – sekundenlang ohne Blick nach vorne.

Beim Unterricht war nach dem Wochenende entsprechend wenig mit uns anzufangen. So ging auch viel Zeit dafür drauf, dass Rajou uns diverse Anekdoten über die Besonderheiten in Kerala erzählte. Darunter fallen auch Ehekurse, in denen die Kirchgemeinden junge Paare auf die Ehe vorbereiten: welche Rechte und Pflichten man als Ehepartner so hat, wie man mit Geld wirtschaftet, wie Konflikte zu lösen sind, usw. Auch die Problemlösung bei Liebesheiraten fällt darunter. Die große Mehrheit der Ehen in Kerala (und sicherlich auch in anderen Teilen Indiens) sind nämlich – völlig unabhängig von Religionszugehörigkeit – arrangierte Ehen. Suchen Eltern den Ehepartner aus (wirtschaftliche Gesichtspunkte spielen dabei die größte Rolle), gibt es laut Rajou weit weniger Ärger, als wenn die jungen Leute so zueinander finden. Meist passt den Eltern nämlich der jeweils andere Ehepartner nicht – ganz besonders, wenn er nicht derselben sozialen Schicht angehört – und die Eltern und andere Verwandte versuchen die Beziehung zu zerstören.
Ganz kompliziert sind Fälle wie ein solcher, der Rajou aber in vielen Jahren auch erst einmal untergekommen ist: ein Hindu will eine Christin heiraten. Die Frau (bzw. vielmehr ihre Familie) darf in diesem Fall die Regeln festlegen. Der Hindu musste also konvertieren und dazu erstmal monatelang Unterricht im christlichen Glauben nehmen. Dabei lernt man übrigens erstmal, was die zehn Gebote (ten commandments) sind, was gerne mit der folgenden Eröffnungsfrage eingeleitet wird: „How many are the ten commandments?“ Der (Ex-)Hindu soll nach ein paar Sekunden dann auf die fragende Antwort „errrr, ähhhhh... hmm... ten?“ gekommen sein.

Im Laufe des Morgens erzählte uns dann Sister Josy, dass der eine kleine Papagei beim Füttern weggeflogen ist und von einem größeren Raubvogel gefressen wurde. Also nur noch drei offizielle Tiere im Institut: ein Schäferhund, ein mittelgroßer Papagei und ein kleiner Affe...

Essen wurde so wie so im Laufe dieser Woche immer mehr zum Thema, da immer mehr ausländischen Studenten (und auch den ganz wenigen international erfahrenen Indern am Institut – also hauptsächlich Shawn) das immer gleiche veganische Essen auf den Sack geht. Und die scheiß Fastenzeit ist erst im April vorbei...
Mir reicht es aber, wenn ich am Wochenende zwei, drei Mal was richtiges esse. Also meistens was Indisches in einem muslimischen Restaurant. Andere gehen jetzt ein, zwei Mal unter der Woche in ein italienisches Restaurant. So etwas ist natürlich typisch dekadente indische Oberschicht: 50 Rupien für die Rikscha um die drei Kilometer zum Restaurant zurückzulegen, dann dort 300 Rupien für eine Pizza und 50 Rp. für Getränke und noch mal 50 oder 100 für einen Nachtisch oder eine Vorsuppe ausgeben, dann wieder für 50 Rupien zurück. Selbst wenn man den Fahrtpreis z.B. durch drei Personen teilen kann, zahlt man mit etwa 450 Rupien (7,50€) pro Person viel zu viel für die hiesigen Verhältnisse. Dafür bekommt man ein mittelmäßiges Doppelzimmer in einem Hotel...
Das Tollste war natürlich, dass es am Mittwoch – wo alle Gaststudenten außer Nils und mir zum Italiener gingen – mit einem süßen Curry mal etwas Neues und Besonderes gab. Das süße Curry schmeckt wie süßer Senf, nur besser.

Am frühen Abend habe ich mich dann – nachdem ich den Sport vier Jahre lang nicht mehr gespielt habe – beim Badminton beteiligt. Jeden Abend wird im Institutsinnenhof ein Netz gespannt. Das Feld ist immer gut sichtbar und auch von den Abmessungen her korrekt auf den Platten mit weißer Farbe aufgemalt. Die Spielqualität ist auch nicht schlecht.
Beim zweiten Doppel spielten Anja und ich mit Rajou bzw. Timothy. Mein Mitspieler und ich gewannen 15:9, was trotz der extremen Luftfeuchtigkeit gar nicht so anstrengend erschien. Als ich jedoch beim fünften Doppelspiel wieder ran durfte und mit einem der Studenten gegen Diakon Shawn und Clint antrat, wurde die viele Bewegung in der feuchten Hitze langsam anstrengend. Dieses Spiel ging 8:15 an Clint und Shawn.
Die Inder wollten dann unbedingt das internationale Spiel „Germany vs USA“ – also Clint gegen mich – sehen. Wir beide spielten über eine halbe Stunde. Da ich ständig führte, wollte ich – obwohl das unangenehme Klima mich langsam fertig machte – nicht aufgeben. Ich habe mich dann auch auf einen 15:13 Sieg gerettet. Doch so durchgeschwitzt und fertig wie hier nach einer Stunde Badminton ist man in Deutschland nicht mal nach drei Stunden Badminton...

Am Mittwoch und Donnerstag gab es auch noch kulturelle Ereignisse zu bestaunen. Meistens bleiben Hindus ja lieber unter sich, aber die Festivals die sie wie eine Musicalshow zelebrieren, sind auch oft für Nicht-Hindus offen. In Kottayams größten Hindutempel Thirunakkara gab es diese Woche ein Festival namens Pakalpooram. Dorthin gingen Anja, Alex, Nils und ich am Mittwochabend zum ersten Mal. Sieben Elefanten, einige dutzend Leute in offizieller Funktion wie Musiker, Tänzer und Elefantenbetreuer, und mehrere Tausend Gläubige und Schaulustige drängten sich im Tempelkomplex. Alles schön bunt mit Lichtern und Fackeln, ständig eintönig hämmernde Trommel- und Trompetenmusik, ein Tänzer war mit Federn geschmückt und trug ein Kranichkostüm und bewegte sich auch wie ein Kranich. Alles sehr interessant anzusehen, nur von den Storys (die die Musiker und Tänzer mit ihren Darbietungen erzählen) hat man natürlich nichts verstanden. Wenn man sich mit den im Hinduismus vorkommenden Mythen befasst, hat man aber auch recht viel zu tun: sie sind nicht nur völlig abstrus, sondern auch sehr ausführlich. Dass Elefanten im Hinduismus – so auch heute bei diesem Fest zu sehen – so eine große Rolle spielen, lässt sich leicht dadurch erklären, dass sie schon seit Menschengedenken in Indien leben und entsprechend respekteinflößende Viecher sind. Eine der wichtigsten Darstellungen des Göttlichen ist Ganesha, ein dicker Mensch mit Elefantenkopf und vier Armen, der auch als „Entferner der Hindernisse“ – und genau das machen ja auch Arbeitselefanten, die man in Indien schon seit langer Zeit nutzt – bezeichnet wird. Sieben solcher Hindernisentferner waren geschmückt und in voller Größe am Mittwochabend bei diesem Fest zu sehen. Donnerstagnachmittag waren es sogar 22. Da sind dann aber auch doppelt so viele Menschen da gewesen. Wegen des zweiten Besuchs, wurde am Institut sogar extra der Deutschunterricht auf 20.15 Uhr verschoben. Indische Flexibilität halt: 15.00-16.15 hatte ich Arabisch gehalten – bis zu den Themen grammatisches Geschlecht (al-djins) und Nunation (tanwîn) bin ich zwar immer noch nicht gekommen, aber langsam können die Studenten mehrere Buchstaben, also manchmal sogar ganze Worte, hintereinander lesen. Mittlerweile geht sogar das harte „kha“ (gesprochen wie im deutschen Wort „Bach“). Dieser Laut kommt nämlich komischerweise in Malayalam gar nicht vor...
IMG_4258

Keine Kommentare: