Montag, 19. März 2012

IND-XIV: Basketballwochenende in Kochi (Teil 3)

* Für Ausländer verboten – Cricket in der Raffinerie *

Photos and English Version:

Heute war das Auswählen einer Sportveranstaltung in Kochin etwas schwierig, denn wir wollten nicht erst nachts nach Kottayam zurückkehren. Basketball konnte man also vergessen. Fußball war ja nur unter der Woche, also blieb noch Cricket. Klar: in der Zeitung stand ja immer was vom Coromandel Cement Cup im Refinery Cricket Oval im Vorort Ambalamugal. Also hin da. Dass das Oval kein Ort zum entspannten sonntäglichen Cricketgucken, sondern vielmehr zum Erfahren indischer Bürokratie, Rassismus und Dummheit ist, kann man ja vorher nicht wissen...

Der Weg dahin war erwartet schwierig. Nachdem wir fünf Leute am Busbahnhof hinterm Ambedkar Cricketstadion (wo leider nur Training stattfand) gefragt hatten, hatten wir dann den richtigen Bus gefunden. Von dort ging es mit einem ehrlichen Rikschafahrer – der verwies gleich auf den bei den meisten Fahrern angeblich defekten Taxameter – 8km zur Raffinerie von Ambalamugal hinaus. Womit auch unser Fahrer nicht gerechnet hatte: vorm Cricketstadion befindet sich ein Checkpoint, denn selbst die Cricketanlage, die auch so schön Refinery Oval heißt, befindet sich im Gelände der Bharat Petroleum Raffinerie. Ja: IM Gelände! Will man beim vom Zementwerk gesponserten und von der Raffinerie ausgerichteten Turnier zugucken, muss man seinen Pass hinterlegen und einen Zettel ausfüllen. Die Erfassung gilt auch für Spieler und Trainer. Ausländer sind von dieser Regel allerdings ausgenommen, denn in Indien darf man als Nicht-Inder unter keinen Umständen ein Industriegelände betreten. Als unser Fahrer anfing zu diskutieren, ob man da mal eine Ausnahme machen konnte, meinten die Wächter zu uns: „Tut mir leid, so sind die Regularien der Raffinerie“. Am Haupttor sollten wir noch mal Fragen, aber erwartungsgemäß gab es auch dort nur den Hinweis, dass diese Sportveranstaltung besonderen Regeln unterliegt und wir uns, wenn wir denn schon hier im Vorort Ambalamugal gelandet sind, lieber den Hill Palace angucken sollten.

Auf die hirnverbrannte Idee, eine offizielle Sportveranstaltung, über die in jeder Zeitung Keralas täglich berichtet und annonciert wird, in einem Firmengelände, dass zudem ein sicherheitstechnisch hochrelevantes Gebiet ist, auszutragen, kann man wohl auch nur in Indien kommen. Wenn man über diese Meisterschaft nur in den Malayalamausgaben lesen würde, hätte ich noch ein bisschen Verständnis für diese Dummheit – aber wer ließt den Bitteschön „The Hindu“ und „The Indian Times“? Die englischsprachigen Zeitungen werden meist nur von Touristen und anderen im Land weilenden Ausländern gelesen. Da kann man auch von einem indischen Sportorganisator dieses Minimum an Intelligenz erwarten, ein solches Turnier entweder nicht im Refinery Oval auszutragen – oder eben auf die Regularien hinzuweisen. Leider lernt man in Indien Leute nicht so einfach wie in Syrien oder Marokko persönlich kennen. Hätten wir einen am Turnier beteiligten Cricketspieler vorher getroffen, wäre es für die Sicherheitsleute schwerer geworden uns wegzuschicken...

Der Rikschafahrer fuhr uns also zum Hill Palace, einem schönen Maharaja-Schlösschen mit großem Garten – überall mischen sich englische und indische Stile in Architektur, Inneneinrichtung und Gartenbau –, und wir fuhren nach der 20 Rupien (0,30€) kostenden Besichtigung, bei der man leider keine Fotos in den Innenräumen machen durfte, mit zwei Bussen über Vyttila nach Kottayam zurück.

Apropos Fotos: wenn man im Internet herumsucht, findet man auch Bilder der Sportanlage in der Raffinerie. Eigentlich dürften ja auch Inder keine Fotos dort anfertigen, da man ja Anschlagspläne gegen die Raffinerie machen könnte. Mit Angst vor Industriespionage hat das wenig zu tun, da auch Bharat Petroleum weiß, dass seine Anlage veraltet und dreckig ist. Wenn man da regelmäßig Cricket spielt, gefährdet man wahrscheinlich seine Gesundheit...
Die Anschlagsgefahr ist auch recht weit hergeholt, aber nicht so abwegig wie die Regelung, das generell keine Ausländer auf die Anlage dürfen. Ich hätte denen ja auch gerne meinen Pass hinterlegt bis nach Spielschluss, wenn die das zugelassen hatten.

So viel Entgegenkommen kann man von den mehrheitlich nicht sonderlich sympathisch und gastfreundlich auftretenden Indern aber nicht erwarten. Wir sind ja hier schließlich nicht in der arabischen Welt – wobei in keinem arabischen Land jemand auf so eine hirnrissige Ansetzung gekommen wäre: im ägyptischen al-Mahalla ist das Stadion außerhalb des Chemiewerks, im syrischen Baniyas steht das Stadion auch jedem Besucher außerhalb der Werksmauern offen. Man stelle sich mal vor, das Stadion des Friedens in Leuna wäre innerhalb der Leuna Werke gelegen und nur für Zuschauer, die ihren Personalausweis am Eingang hinterlegen, zugänglich...

Also echt! Ein anvisiertes Spiel habe ich ja nicht zum ersten Mal verpasst. Ab und an passiert das halt mal, dass man ein Spiel (das auch zur angegeben Zeit ausgetragen wird) versäumt. Zu spät losgefahren und deshalb erst zur zweiten Partie aufgekreuzt, Fahrradpanne, falsche Sportanlage aufgeschrieben und entsprechend dort hingefahren... Das ist ja alles noch normal. Aber die Aktion heute war das Kurioseste und Dümmste was mir in 6 Jahren Groundhopping mit über 1.000 Spielen in 30 Ländern je untergekommen ist!

Mit so einem Tag steigt natürlich der Kuriositätsfaktor Indiens – aber in erster Linie sinkt die Sympathiekurve, die bei diesem Land in meiner Wertung ohnehin schon im unteren Drittel liegt. Aber erstens hat das Groundhopping an diesem Wochenende aufgrund der Basketballspiele Spaß gemacht – und zweitens sind es auch solche komischen Erlebnisse, die das Groundhopping interessant machen!
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Statistik:
Tageskilometer: 120 (110 Bus, 10 Autorikscha)
Saisonkilometer: 42.090 (23.900 Auto/ 14.820 Flugzeug/ 2.010 Fahrrad/ 810 Bahn, Bus, Tram/ 10 Schiff, Fähre)

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