Fès: The Historic Old Town (Medina)
Montag bin ich umgezogen. Nur ein paar Straßen weiter. Khadija hatte ich schon kennengelernt, da sie mir das Fahrrad, das ihr Sohn zerlegt hatte, überließ. Das Haus ist ähnlich wie das von Jim und Patty: ein historistisches Riad (mittelalterliches, meist dreigeschossiges, quadratisches oder rechteckiges Wohnhaus mit Innenhof, der meist nicht überdacht ist: neu erbaut oder von Grund auf renoviert in den letzten Jahren). Das Haus des Ehepaares Khadija und Driss ist baulich sogar noch schöner als das der Amis, aber weniger luxuriös: Warmwasser wird hier eng rationiert, die Leitung fürs Licht sind nicht im ganzen Haus verlegt und die Seitengassenlage wirkt auf den ersten Blick nicht einladend, wobei das Haus natürlich super-sauber ist.
Dienstag lernte ich dann im Unterricht auch eine neue Lehrerin kennen, die mich jetzt öfter in Fusha (Hocharabisch) unterrichten wird. Jim hat wirklich nicht übertrieben was Malika angeht: sie ist eine enorm engagierte Lehrerin, die die Stundenzeit von 90 Minuten wirklich jedes Mal zum Besten der Studenten überzieht, sehr gut erklärt und v.a. sich viel frei unterhält und sehr auf die Studenten eingeht. Die Hörverständnisübungen und Aufgaben zum Freien Sprechen machen hier 90% der Stunde aus und nicht nur 50% wie bei Lahcen.
Eine andere treffende Bemerkung von Jim über Malika bringt mich übrigens darauf, dass es nicht nur die viel beschworenen kulturellen Unterschiede zwischen Europäern und Araber gibt, sondern auch welche zwischen Deutschen und Amis. Und die lassen Amis und Araber im Allgemeinen eher ähnlicher erscheinen… Jim: „She’s such a wonderful woman, I don’t know why she isn’t married, being in her forties…“ Meine nicht mal unernst gemeinte und bewusst zweideutige Bemerkung dazu: „Maybe, she just doesn’t like men…“ wurde entrüstet mit: „Don’t be kidding, she’s trusting in the Lord, she can’t be that weird!“ kommentiert. Schon mal nen Deutschen so was sagen hören? Ich nicht, aber nen Araber! Auch die verwunderten Reaktionen der kanadischen Bekannten, dass ich Einzelkind bin, sind typisch für den nordamerikanischen Kulturkreis: für Claire und Jayden soll es nicht unbedingt bei den drei Kindern bleiben, Jim und Patty finden die vier Kinder genug aber weniger hätten es auch nicht sein sollen.
Zudem ist es interessant zu hören, wie viele der Nordamerikaner die ich hier getroffen habe, dauernd den Herrn oder Jesus in ihre Gespräche einbauen. Von wegen „but then I changed my mind“ – die eine junge Frau aus Wyoming sagte stattdessen immer: „and then God convicted [überzeugte] my heart…“ So Formulierungen sind genauso häufig wie bei Arabern zu hören und ob man „al-hamdu li-llah“ oder „praise the Lord“ in den Satz einbaut ist eigentlich egal, da inhaltlich identisch und jedem intelligenten Menschen der den Sprachen Arabisch und Englisch (und halt noch Deutsch) mächtig ist, geht es eh auf den Sack, wenn irgendwelche Volltrottel oder Muslime die sich Abgrenzen wollen „Allah“ als Eigenname stehen lassen, anstatt ihn – wie es korrekt wäre – mit „God“ (Gott) zu übersetzen. Worüber man hier nie klagen kann ist Gastfreundschaft, sicherlich auch da Christen wie Muslimen Gastfreundschaft mehr oder weniger vorgeschrieben ist, weswegen man in Marokko oder teilweise auch den USA tendenziell einfacher und herzlicher aufgenommen wird als im atheistischen Deutschland. Jim und Patty waren wirklich im positiven Sinne elternhaft zu mir und für Khadija und Driss bin ich nun der deutsche Sohn und für die vier Kinder (Rita, Zakariya, Hamza und Mohammed) der älteste Bruder…
Apropos die Kinder: die schossen mal wieder den Vogel ab am Dienstag, als irgendeiner den Fußball von Hamza aus der Ecke holte und anfing, mit den kanadischen Kindern im 5x5m kleinen Innenhof vorm Abendessen Fußball zu spielen. Ich machte natürlich auch mit und der Vater Driss machte den Schiri – naja, zumindest ermahnte seine sportbegeisterte Tochter nicht immer ihren Brüdern vors Knie zu treten wenn sie den Ball sperren, dass Hamza nicht immer halbhoch gegen die saubere Wand passen soll um mit Bande zu spielen und die kanadischen Wänster sollten nicht dauernd Hand spielen… aber Driss kann kein Englisch, nicht mal Hocharabisch: seinen grauenhaften Dialekt versteh ich ja kaum, also die Kanadier erst recht nicht… und es hörte erstaunlicherweise generell niemand aufs Familienoberhaupt sondern viel eher auf die Mutter Khadija…
Mittwoch war besonders lustig, als vorm Mittagessen Hamza und Mohammed Kurzpässe im Innenhof übten und Hamza irgendwann zu mir hoch rief, das ich mitspielen soll. Ich hatte aber den Unterricht vorzubereiten, was Hamza so kommentierte: „a lê, khud el-kora“ (Ach was, nimm den Ball!) und schon flog der zu mir in den zweiten Stock hoch und ich köpfte jeden seiner hohen Schüsse in den Innenhof zurück… Ein Pass von Mohammed ging dann mal schief und Hamza leitete den Ball auf den schon halb gedeckten Tisch weiter, wo er einen Teller mit Salat zertrümmerte. Khadija pfiff dann im wahrsten Sinne des Wortes ab…
Nach dem Unterricht kam ich gleichzeitig mit den Kindern zurück, die sich dann von Khadija bei ihren Hausaufgaben helfen ließen. Irgendwann setzte sie sich auch zu mir um mir bei den Hocharabisch-Aufgaben zu helfen: „Naâuwunak kamân, nta bni rabiaâ daba“ (Ich helf dir auch, du bist jetzt mein vierter Sohn). Den Rest machte ich dann mit Rita: da sie in der Schule immer fleißig ist, kann sie schon als Zweitklässlerin besseres Hocharabisch als ihre älteren Brüder und ihr Vater…
Abends kamen noch drei Tschechen, die mit meinen Kommilitonen vom Institut in Fès, Veronika und Vojtech, in Plzen studiert haben. Die nächsten Tage blieben die freundlichen, gesprächigen und sehr an Marokko interessierten jungen Leute (die allerdings leider echt auf jede Touristenabzocke reinfielen und mit dem Essen nicht so ganz klar kamen: dass man immer mit Löffeln und Brot aus einer großen Schüssel in der Tischmitte isst, war nicht das Problem, aber so manches Gewürz wohl schon…) bei Khadijas Familie. Aber zum doppelten Preis pro Nacht wie ich (obwohl ich ganz normal den festgesetzten Mietpreiß entrichte) – also Jim der alte Fuchs ist doch ein echt arabischer Makler…
Freitag hatte ich den ersten Test in Darija (sehr gut bestanden mit 92,5%), die Fusha-Stunde war diesmal eigentlich nur freies Sprechen über Feste und Feiertage in Marokko und Deutschland – also so viel Arabisch habe ich selbst hier noch nie gesprochen… Das mit den Feiertagen im Unterricht bequatschen hat übrigens seinen Sinn: nächste Woche ist das islamische Opferfest und somit frei. Wie das so beim Opferfest zugeht, schreibe ich in etwa 7 Tagen. Vorher geht es am Wochenende mit Abdelhadi und seiner Familie bis Marrakech, ehe die per Bus nach Agadir weiterfahren und ich mich in Richtung Essouira und Safi aufmachen. Handball-CL kann ich leider keine gucken, aber Fußballpokal.
Und apropos Sport: die ganze Familie hängt hier abends oft zum Sportgucken vor der Glotze, gerade diesen Freitag war das sehr ausgeprägt, da die Nationalmannschaft ein Freundschaftsspiel gegen Südafrika (leider in Agadir, in Fès wäre perfekt gewesen…) austrug. Als vorher eine Reportage über den verstorbenen Trainer Mehdi Jose Faria (der führte Marokko u.a. zur WM 86) kam, murmelte der ganze Raum erstmal „yarhammhu Allah“ (Gott habe ihn selig), beim Spiel selbst ging es nicht so wild zu, auch wenn Hamza immer mal leise Fangesänge vor sich hin sang – am lautesten war mal wieder Khadija... Statistik:
- Tageskilometer: 50 (5x10km Fahrrad)
- Saisonkilometer: 16.880 (15.780 Auto/ 870 Fahrrad/ 40 Schiff, Fähre/10 öffentliche Verkehrsmittel/ 0 Flugzeug)
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