Dienstag, 3. August 2010
W209V: Der sportliche Teil der Reise
MKS Odra Wodzisław Śląski 0:3 Piast Gliwice
Städtischer Sportverein "Oder" Loslau – Piasten Gleiwitz
Samstag, 31. Juli 2010 – Anstoß 16.00
I Liga (2. polnische Liga, 2. Profiliga)
Ergebnis: 0:3 nach 92 Min. (45/47) – Halbzeit 0:1
Tore: 0:1 42. Jakup Biskup, 0:2 49. Bartosz Iwan, 0:3 59. Bartosz Iwan (Foulelfmeter)
Verwarnungen: Marcin Kokoszka (Odra) und Sławomir Szary (Piast)
Platzverweise: keine
Spielort: Stadion Miejski Ośrodek Sportu i Rekreacji w Wodzisławiu Śląskim (Stadion des Städtischen Sport- und Freizeitzentrums in Loslau, Kap. 7.000, davon 5.835 Sitzplätze)
Zuschauer: ca. 2.500 (davon ca. 600 Gästefans)
Unterhaltungswert: 3,0/10 (Odra sehr schlecht, Piast setzte zum Sieg nötige Aktionen, Gästefans stimmungsstark)
Sightseeing: 7,0/10 (Interessante, aber gesperrte Schlossruine + Schöner Zoo + normale polnische Kleinstadt)
Photos and English version:
Football Match Odra - Piast
Zoological Garden of Chorzów
Castle and Church Siewierz
Die Austragung der EM 2012 hinterließ in den letzten wenigen Jahren leider Spuren im polnischen Fußball. Das Spielniveau ist weiterhin wenig attraktiv und die Zuschauerzahlen sind auch nicht nennenswert gestiegen – nur die Stimmung und der Abenteuerfaktor sind zurückgegangen. Dass Ausschreitungen zurückgegangen sind, ist ja O.K. – aber einem ernstzunehmenden Fußballfan ist es ein Dorn im Auge, dass mittlerweile Choreographien eingeschränkt werden und selbst die in Polen so populäre Pyrotechnik verboten wurde. Natürlich wird auch heute noch immer mal gezündelt, aber es zieht – wenn auch nicht gegen einzelne Fans, sondern viel eher gegen einen Verein – maßlose Strafen nach sich. Noch maßloser sind nur die Strafen für beleidigende Choreographien und Schlägereien, die vor 5 Jahren noch als „normale Meinungsverschiedenheit“ abgetan worden wären. Da der letzte Rest Gehirn vom polnischen Verband PZPN eingetrocknet ist, sehen die Stadionordnungen der Ekstraklasa Perversitäten vor, wie Fotografier- und Filmverbot oder die Untersagung von obszönen und vulgären Aussagen und Gesten. Vor genau einem Jahr bekam ich ja zu sehen, wie z.B. diese zwei genannten Verbote durchgesetzt werden: ich durfte fotografieren, war dabei nicht der einzige im Stadion und hinterher auch nicht der einzige, der die Bilder von der Tribüne im Internet nicht-kommerziell zur Verfügung stellte – und hätte man jeden pöbelnden und mittelfingerzeigenden Fan des Stadions verweisen wollen, wären von 8.000 Zuschauern keine 2.000 mehr dagewesen.
Das erste Verbot ist juristisch nicht haltbar und der Schwachsinn ist auch schon in anderen Kommerzligen wie den Bundesligen gescheitert, das zweite Verbot wird selbst in Deutschland weitestgehend stillschweigend übergangen. Alles in Allem muss man sagen, dass der polnische Fußball höchstens für ein paar neureiche Weicheier attraktiver geworden ist, während für die meisten einheimischen Fans wie auch ausländische Groundhopper die Attraktivität gesunken ist. Spielerisch war der polnische Fußball selten genug gut – aber das Umfeld hat es immer rausgeholt. Und dieses Umfeld – aggressive aber stimmgewaltige und einfallsreiche Fans in alten, architektonische interessanten Stadien – wird immer mehr in die zweite, dritte Profi- bzw. Halbprofiebene oder gar den Amateurbereich verdängt. Bis zur EM wird es nur noch sterile Arenen in der Extraklasa geben, in denen ein perverser Sicherheitswahn betrieben wird, der aber leider in der polnischen Gesellschaft, in der einen Kriminalitäts-Paranoia um sich geschlagen hat, die z.B. die Videoüberwachung von quadratkilometergroßen Straßen und Plätzen in den ruhigsten Kleinstädten oder die Abschottung von Wohnsiedlungen der Mittel- und Oberschicht durch gefängnisähnliche Mauern und bewaffnete Hausmeister zur Folge hat, ohnehin schon Fuß gefasst hat. Stimmung bleibt dann irgendwann draußen. Doch vielleicht ändert ja die EM 2012 wirklich etwas – wenn sie nämlich vorbei ist und Verband, Gemeinden etc. keine Lust mehr haben, viel Geld für Sport auszugeben, sodass sich alles wieder auf dem normalen Stand von ca. 2005 (also nach den Zeiten des großen Hooligan-Chaos und vor der Kommerzialisierungswelle) einpendelt. Denn für den polnischen Fußball kann man nur viel Geld verbrennen: mit videoüberwachten Arenen, in denen ruhige Zuschauer für viel Geld herumsitzen, wird weder das Niveau der polnischen Liga, noch das der Nationalelf, besser - die Chaoten hatten da ja umgekehrt auch keinen postiven Einfluss drauf.
Wir hatten uns, da die Ekstraklasa noch gar nicht die Saison begann, das Eröffnungsspiel der zweiten Liga (I. Liga) ausgesucht. Der Verein Odra (nach dem Fluss Oder, der durch die Stadt fließt, benannt) aus Wodzisław Śląski (südlich des schlesischen Kohlepotts, nur 15km nördlich von der tschechischen Grenze gelegen) spielte gegen Piast, die nach dem Herrschergeschlecht der Piasten, die vom 10. bis 17. Jhdt. wichtige Könige, Fürsten usw. hervorbrachten, heißen und aus der Stadt Gliwice, im Westen des „polnischen Ruhrgebiets“ gelegen und bekannt für den Sender Gleiwitz, den die SS 1939 überfiel, stammen.
Bei dieser Begegnung konnte ich zum Glück noch das Flair des polnischen Fußballs teilweise wiedererkennen, denn kaum hatte man die vor der Stadtbesichtigung für knapp 4€ erstandenen Karten an der Kontrolle vorgezeigt, wurde man noch kurz abgetastet, ehe man – außer auf Haupttribüne und Gästesektor – im ganzen Zuschauerbereich herumlaufen konnte. Das Stadion ist zwar modernisiert worden, doch hinter dem einen Tor gibt es für Gäste und Heimfans noch Stehplätze, ebenso auch in der einen Ecke hinter dem anderen Tor. Eine ehemalige Stehtraverse wurde mit Schalensitzen bestückt. Hinter diesen Bereich wechselte ich mit Anja, als die Ultras, neben denen wir die Plätze zugewiesen bekamen, eine Choreo zeigten. Die Ultras befinden sich in einem der vier Sektoren der bestuhlten, neunreihigen Gegentribüne. Die ebenso hohe Haupttribüne ist überdacht, Familien, Dauerkartenbesitzern und VIPs vorbehalten und man erkennt noch den alten Baustil anhand der Überdachung des Ehrensektors. Sehr altmodisch ist der Sprecherturm mit der Anzeigetafel, die die Gastmannschaft zuerst nennt. Die Zäune sind für polnische Verhältnisse (außer vorm Gästesektor) auffällig niedrig. Das Stadion wirkt ohnehin eher, wie 15km weiter südlich – also in Tschechien – stehend. Direkt hinter der Tribüne, hinter deren letzte Reihe wir uns nach einer halben Stunde stellten, stehen übrigens Wacholderbäume, die der Anlage noch einen leicht idyllischen Charakter geben. Auf jeden Fall ein sehr schönes Stadion.
Die Stimmung ging diesmal leider nur von den Ultras aus. Das war wie in Deutschland, nur war der Ultraprozentsatz im Vergleich zu den Normalos höher als in Deutschland. Die „Ultras Odra“ kamen aber auch nicht aus dem Knick und wurden natürlich bei der scheiß Leistung ihrer Mannschaft ruhiger. Im Block von Piast waren knapp 600 Leute recht ausdauernd am Anfeuern. Piast zündelte auch etwas, weswegen es vom Stadionsprecher eine unmotivierte Durchsage gab (Krank! So was hab ich in Polen noch nie erlebt!) und stritt sich mit Polizei und Odra-Provokateuren auf den Stehplätzen neben der Haupttribüne. Die Ultras von Odra zeigten eine kleine Choreo mit einer Überziehfahne, auf der „Ultras Odra“ neben einer flammenumspielten Zeichnung eines Ultras mit Kapuzenshirt stand, und einem Spruchband, das „Szarość życia zamieniamy w trybun blask“ (Das Grau des Lebens wird auf der Tribüne [zur leuchtenden] Glut) lautete. Die Anfeuerungen waren die üblichen, recht interessanten Gesänge und Sprechchöre der polnischen Szene, die Aggressivität hielt sich in Grenzen, aber nach den Regeln der PZPN hätte man auch wieder einige hundert Leute aus dem Stadion verweisen müssen. Im Vergleich zum namentlich ähnlich klingenden Erstligisten Śląsk Wrocław – dort stehen fast 100% der Zuschauer auf den Sitzen, singen das Vereinslied, krakeelen und pöbeln laut und überzeugen mit tollen Wechselgesängen – war die Stimmung aber wirklich schwach. Was vor dem Spiel ablief, hatte nichts mit Stimmung zu tun, aber das war dann der Abenteuerfaktor: kaum hatten wir geparkt, fuhren Gästefans an uns vorbei, die dann von Heimfans ausgebremst und zu Fuß gejagt wurden, bis die Polizei einschritt.
Schwächer als die Stimmung war aber das Spiel, denn Odra bekam gar nichts auf die Reihe und hätte gegen jeden deutschen Landesligisten verloren. Die im Vergleich zum letzten Duell der beiden Vereine (6.000 Zuschauer) schwache Zuschauerzahl erklärt sich wohl aus Streitigkeiten im Verein und der Mannschaft, woraus sich wiederum diese erbärmlich Leistung erklärt. Piast zeigte ein paar schöne Angriffe und Zweikämpfe, kam nach schwachen 40 Minuten auch zu einem Treffer und setzte nach der Pause, nachdem Odra ihren besten Angriff im ganzen Spiel hatte, gleich mit einem schönen Schuss ins Eck nach. 10 Minuten später ein Foul auf der Strafraumgrenze, ein Elfmeter und das 0:3 für Piast Gliwice. Ein verdientes Resultat, was auch 0:4 oder 0:5 hätte heißen dürfen. Für polnische Verhältnisse wurde übrigens (zu) wenig gefoult.
Nach dem Spiel fuhren wir in dreieinhalb Stunden nach Wrocław, da wir am Tag darauf Speedway eingeplant hatten und übernachteten im kultigen Hotel Śląsk, dass zum Fußballklub Śląsk Wrocław gehört, direkt am Stadion liegt und außerdem für 30-40€ herrlich altmodische Zimmer in einem nur innen sanierten Plattenbau zu bieten hat. Wer in den letzten Jahrzehnten im Ostblock gereist oder aufgewachsen ist, der wird die Einrichtung noch kennen...
Vorm Spiel waren wir übrigens am Morgen von Częstochowa nach Siewierz gefahren, wo es eine große Kirche und ein Wasserschloss, das derzeit gesichert wird, gibt. Es regnete, bis wir in Katowice neben dem Stadion von GKS standen. Hätten die zu einer vernünftigen Zeit gespielt, hätten wir dort ein Spiel angeguckt, auch wenn die Preise dort fast doppelt so hoch wie bei Odra, wo man auch noch nicht einmal die Registrierung über sich ergehen lassen muss, sind.
Unser Ziel war allerdings der direkt hinter Stadion liegende Zoo Chorzów, der eine ganze Menge Tiere in artgerechter Haltung – der Zoo erfüllt (mittlerweile) EU-Standards; wer meint, dass dies nicht der Fall sei, weil die Häuser noch aus den 1950ern stammen, ist ein Idiot - außerdem wird noch kräftig gebaut – zeigt. Besonders sehenswert sind das Aquarium, die Vogel-Volieren – dort sind auch Flughunde zu sehen – und die Giraffen und Nashörner, die bei weitem nicht jeder Zoo hat. Leider gibt es in Chorzów nur noch einen Elefanten und ein Flusspferd. Aber ich habe selten so agile, herumtobende Tiere erlebt, wie in diesem Zoo.
In Wodzisław Śląski besichtigten wir vor Anpfiff des Spiels noch die große Kirche und den Markplatz. Beides ist recht typisch für eine polnische Stadt dieser Größe (50.000 Einwohner).
Statistik:
Ground Nr. 453 (ein neuer Ground; diese Saison: 3 neue)
Sportveranstaltung Nr. 1.041 (diese Saison: 3)
Tageskilometer: 380 (Auto)
Saisonkilometer: 1.560 (1.490 Auto/ 70 Fahrrad/ 0 Flugzeug/ 0 Bus, Bahn, Tram/ 0 Schiff)
Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 32
Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 209
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