Montag, 5. Juli 2010

W205II: Deutsche Bundesliga ohne Deutsche Spieler

Erfurter TC Rot-Weiß 2:4 Rochusclub Düsseldorf
Sonntag, 4. Juli 2010 – Beginn 11.00
1. Tennisbundesliga der Herren bzw. „Tennis Point“ Bundesliga (Profiliga)
Ergebnis: 2:4 in 4:9 Sätzen bei 49:61 Spielen
Einzel: Zeballos 2:6, 5:7 Montanes, Kubot 4:6, 4:6 Garcia-Lopez, Hrbaty 0:6, 4:6 Chela, Minar 3:6, 2:6 Korolev
Doppel: Kubot/ Marach 6:1, 6:3 Montanes/ Garcia-Lopez, Zeballos/ Friedl 6:1, 6:7, 10:3 Chela/ Santoro
Spielort: Tennisanlage am Steigerwald, Platz M (C, Center Court) und Platz 2 (Kap. 300 bzw. 200 Sitzplätze)
Zuschauer: ca. 250 (davon ca. 20 Gäste)
Unterhaltungswert: 7,0/10 (Tennis auf so hohem Niveau ist auch für einen Fußballfan wie mich sehr interessant und unterhaltsam)
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Photos and English version:
ERFURTER TENNISCLUB ROT-WEIß vs ROCHUSCLUB DÜSSELDORF

In meinem Fußballumfeld ist Tennis eher als Langweiler-Sport ohne Stimmung für großkotzige, reiche Schnösel verschrien – wie ja umgekehrt Fußball als Proletensport, bei dem dauernd besoffen herumgepöbelt und randaliert wird. Beide Klischees kann man so nicht stehen lassen, da Fußball für alle da ist und auch von allen genutzt wird – also nicht nur von den Proleten, auf die gerne so arrogant herabgeblickt wird – und Tennis nicht unbedingt langweilig sein muss. Auch treiben sich dort nicht nur Millionäre rum, die still zuschauen und herrschaftlich applaudieren. Natürlich sind die Mitgliedsbeiträge weitaus höher als beim Fußball und auch die Davis-Cup-Zuschauer wissen, dass Sprechchöre nicht während der Ballwechsel stattfinden, sondern nur dazwischen. Aber dass es auch Fanschlägereien (z.B. Serbien, Kroaten und Bosnier gegeneinander in Australien), rassistische Ausfälligkeiten (ein griechisch-zyprischer Profi gegen Türken) oder politische Aktionen (Schweden und Araber demonstrieren heftig gegen Israelis in Stockholm) im Tennis gibt, ist jedem mit etwas Ahnung von diesem Sport bekannt. So etwas ist zwar kein Standard im Tennis, aber sind solche Umtriebe denn Standard beim Fußball? In Deutschland wohl kaum!

Wenn ich Tennis geguckt habe, dann im Fernsehen mal das ein oder andere Spiel eines großen Turniers. Mein Lieblingsspieler war ein Marokkaner, der immerhin fünf ATP-Turniere gewann und oft von lärmenden Fans unterstützt wurde, die häufig zur Ruhe ermahnt werden mussten. Ich war sehr überrascht, als ich Younes El Aynaoui in der Spielerliste bei Rot-Weiß Erfurt fand. Noch ein Grund mehr, dem einzigen ostdeutschen Tennisbundesligisten – und auch dem am schnellsten und billigsten zu erreichenden Bundesligaclub, der nach einem Jahr Abstinenz nach Finanzproblemen, wieder erstklassig spielt – einen Besuch abzustatten.

Ohnehin scheint Erfurt ein recht interessanter Club zu sein, obwohl deren Tennisanlage die kleinste und unspektakulärste der Liga ist. Zwar spielt El Aynaoui, der, seit er 2005 vor einem Turnier Cannabis geraucht hatte, seine Profikarriere deutlich zurückfahren musste, nicht bei jedem Bundesligaspieltag – aber anwesend ist er wohl immer. Er ist auch bei weitem nicht der einzige ausländische Profi. Bei der völlig zusammengekauften Mannschaft gibt es nur einen einzigen deutschen, genauer: thüringischen, Spieler, der zudem der jüngste im Team ist. Der beste Spieler soll der Rumäne Victor Hanescu, der erst vor dieser Saison zum Erfurter TC kam, sein: er schied in Wimbledon in Runde 3 kurios aus, der er sich nach einem Streit mit Schiedsrichter und Zuschauern pöbelnd und spuckend vom Spiel zurückzog.
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Ohne umsteigen ist man von Merseburg aus in 80 Minuten mit der Regionalbahn in Erfurt. Dort muss man 15-20 Minuten zum Steigerwaldstadion laufen, dahinter sind die Tennisplätze. Die Anlage liegt zwischen einem Naturschutzgebiet und größeren Mehr- und Einfamilienhäusern. Die beiden wettkampfmäßig genutzten Plätze sind der Centrecourt direkt am Eingang, der auf drei Seiten je ein bis drei Sitzreihen aus Plastestühlen oder Holzbänken hat, und der Platz 2, der nur auf einer Seite mit Holzbänken und Stühlen auf einem Graswall bestückt ist. Ein großer Fliederbaum in der letzten Reihe der Tribüne spendet Schatten und Regenschutz, sowie den Namen für ein alljährliches Tennisturnier. Der Eintritt für den Bundesligavergleich kostete 10€, ermäßigt 5€, was für bis zu 8 Stunden Sport angemessen ist.
Die nach einem Tennisartikelhersteller benannte Bundesliga muss diesmal mit neun statt zehn Teams auskommen. In Essen geht derzeit alles in Insolvenz oder hat zumindest ernsthafte finanzielle Probleme. So auch der Tennisclub.
Gespielt werden vier Einzel und zwei Doppel auf je zwei Gewinnsätze. Der mögliche dritte Satz ist verkürzt. So lange wie Wimbledon letzthin dauert das also nie in der Bundesliga. Heute spielten zwar weder El Aynaoui noch Hanescu – der Marokkaner schaute die ganze Zeit zu und unterhielt sich mit diversen Leuten, während der Rumäne überhaupt nicht aufgetaucht ist – aber trotzdem nicht ein einziger Deutscher in einer der beiden Mannschaften. So attraktiv das Spielniveau dadurch auch war – das ist ein Armutszeugnis für das System Talentförderung des Deutschen Tennisbundes, wenn selbst die besten deutschen Spieler (drei oder vier Ausnahmen bei z.B. Aachen ausgenommen) noch zu schwach sind für die höchste Spielklasse im eigenen Land.

Den Anfang machten Kubot aus Polen für Erfurt und Garcia-Lopez aus Spanien, der für den Rochusclub, den renommierteren Verein der beiden, spielt. Beide lieferten ein hervorragendes Spiel ab, in dem es viele spektakuläre Aktionen gab, wie Kubot mit seinem Hin- und Herschicken des Gegners mit langen Bällen, nur um den punktebringenden Ball ganz lässig abgestoppt Millimeter übers Netz und Zentimeter dahinter herunterfallend, zu bringen. Mit dem Niveau dieses Spiels, was der Spanier knapp gewann, konnte das Parallelspiel, zu dem sich auch viel weniger Zuschauer eingefunden hatten, nicht mithalten. Ich blieb deshalb die meiste Zeit beim polnisch-spanischen Duell, statt beim tschechisch-russischen, was Korolev mit besserer Athletik und Schlagpräzision gegen einen phasenweise wirklich Fehler am Fließband produzierenden Minar, gewann.
Dann verloren die nächsten beiden Erfurter recht klar: der Argentinier Zeballos machte es gegen Montanes aus Spanien im zweiten Satz noch recht knapp, aber er blieb ebenso erfolglos wie Hrbaty (Slowakei) gegen Chela (Spanien), der den ersten Satz sogar völlig unterlegen aber teilweise mit unglücklichen Ausbällen 0:6 verlor und den zweiten lange offenhielt aber doch mit 4:6 abgab.

Der Favorit stand also nach den Einzeln bereits als Sieger fest, wobei natürlich keiner der Zuschauer – die erwartungsgemäß ohne Sprechchöre, nur klatschend und immer wieder aufstöhnend oder jubelnd, die Spieler unterstützten – eher ging. Die meisten sahen genauso wenig vom ersten Doppelspiel Kubot/ Marach gegen Montanes/ Garcia-Lopez, was das polnisch-österreichische Doppel für Erfurt klar gewann, sondern schauten Zeballos und Friedl (Argentinien bzw. Tschechische Republik) gegen Chela (Spanien) und den Altmeister und heute prominentesten Spieler Fabrice Santoro (Frankreich) zu. Letzterer war natürlich der Publikumsmagnet, auch wenn er im ersten Satz blass blieb, der von den Erfurtern allerdings auch so klar dominiert wurde, dass er sehr überzeugend mit 6:1 abging. Es war ein hervorragendes, schnelles und mit technischen Feinheiten reich bestücktes Doppel, was im zweiten Satz sehr spannend wurde. Erfurt führte schon 4:0 und 5:1, doch rettete sich nach 5:6 gerade noch in den Tiebreak, den sie dennoch gegen ein mittlerweile starkes Düsseldorfer Duo verloren. Der entscheidende „Champions Tiebreak“ ist, da er nur bis 10 gespielt wird und irgendwie jeder Treffer einen Punkt gibt (oder so), sehr kurz. Erfurt gewann diesen Unentschiedenbrecher mit letzter Kraft und Konzentration auch überzeugend mit 10:3.

Auch wenn es deutlich interessantere Sportarten gibt als Tennis – und ich teilweise lieber selbst gespielt, als nur zugeschaut hätte – verlangt dieser schöne Wettkampf nach einer Wiederholung in der nächsten Saison. Das Zuschauen war unterhaltsamer als z.B. bei einem schlechten Fußball- oder Handballspiel und vor allem interessanter als die besten Spiele im Baseball, American Football, Feldhockey oder Kegeln. Auch die am nächsten verwandten Sportarten Badminton und Tischtennis sind langweilig gegen das richtige Tennis, was den Sportlern viel mehr Kondition und Kraft abverlangt, als das Pingpong hin und her Geeier oder das Federball Gefeder.
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Photos and English version:
ERFURTER TENNISCLUB ROT-WEIß vs ROCHUSCLUB DÜSSELDORF
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Erfurt City (older pictures)

Statistik:
Ground Nr. 441 (zwei neue Grounds; diese Saison: 110 neue)
Sportveranstaltung Nr. 1.027 (diese Saison: 170)
Tageskilometer: 180 (Eisenbahn)
Saisonkilometer: 36.100 (22.580 Auto/ 6.000 Flugzeug/ 3.970 Fahrrad/ 3.550 Bus, Bahn, Tram/ weniger als 10 Schiff)
Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 18
Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 205

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