Mittwoch, 5. Januar 2011

W231V: Entscheidung in der Verlängerung im Ostsächsischen Eishockeyderby

ELV Tornado Niesky 3:2 EHC Jonsdorfer Falken
Sonntag 2. Januar 2011 – Anbully 18.00
Liga: Oberliga Ost (3. Eishockeyliga, Halbprofi-/ teils Amateurliga)
Ergebnis: 3:2 nach 60:31 Min. – Drittel: 2:0, 0:2, 0:0; Verl. 1:0
Tore: 1-0 6.04 Marcel Leyva, 2-0 11.39 Sven Becher (PP1), 2-1 21.31 Michal Pesek (PP1), 2-2 30.59 Christian Rösler, 3-2 60.31 Sebastian Greulich (PP1)
Zeitstrafen: Richard Jandik (Niesky: 2 Minuten); Paul Förster 2, Benjamin Reichardt 2, David Wolters 2 (Falken: 6 Minuten)
Sportanlage: Waldstadion Niesky (Kap. 1.400 Stehplätze)
Zuschauer: ca. 1.300 (davon zahlende: 800, Gästefans: ca. 30)
Unterhaltungswert: 7,0/10 (Ungewöhnlich diszipliniert für die Oberliga, aber auch schnell und sehr spannend - Atmosphäre mittelmäßig.)
Sightseeing: 7,0/10 (Überraschend hoher Unterhaltungswert)
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Photos and English version:
Kamenz: Hometown of the Famous German Poet Lessing & Marienstern Monastery in Panschwitz-Kuckau
Niesky & Horka: Churches & Wooden Houses in the Far East of Germany
Ice hockey: Eastern Saxonian Derby, Tornado Niesky vs. Jonsdorfer Füchse

Am ersten Sonntag im neuen Jahr sollte es mal wieder nach Osten gehen. Erster Stopp war die sächsische Kleinstadt Kamenz, die den Namenszusatz Lessingstadt trägt, da der bekannte Dichter daher stammt und auch ein Museum und Gedenktafeln an ihn erinnern. Weitere sehenswerte Plätze dieser Stadt sind die beiden Kirchen, ein Wehrturm und das spektakuläre Rathaus mit seiner knallig gestrichenen Fassade. Auch landschaftlich liegt dieser Ort ganz nett.

Wenige Kilometer weiter stoppten wir in Panschwitz-Kuckau; um südlichen Ortsende befindet sich ein herausragender Klosterbau: das Kloster Marienstern. Hinter hohen Mauern befindet steht ein barocker Prachtbau mit rot-weißen Gebäuden. Der Kern bildet der Klosterhof mit mehreren Heiligenfiguren und die Klosterkirche. Diese hat ein sehr hohes Gewölbe und eine starke Galerie von Heiligenfiguren, die die katholische Ausrichtung des Klosters verraten. Ob das Aufstellen sinnloser Hinweis- und Verbotsschilder auch etwas zur katholischen Ausrichtung verraten weiß ich nicht, aber ich habe wirklich selten eine dämlichere Beschilderung als im Kloster Marienstern erlebt: da sollte man mal mehr touristische Information (Geschichte des Klosters etc.) anbringen, statt irgendwelche pseudo-lustigen und klugscheißerischen Hinweise.
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Wieder auf die Autobahn und an der sehr sehenswerten Stadt Bautzen – die hatten wir bereits vor wenigen Jahren besucht – vorbei, ging es bei Codersdorf wieder ab. In nordöstlicher Richtung erreicht man dann solche gesichtslosen Häuseransammlungen wie Mückenhain und Horka, die in der Lausitzer Steppe – ein langweiliges Heide- und Waldgebiet durchsetzt mit Seen: also genauso öde wie Finnland – liegen. Horka muss man immerhin lassen, dass sie eine ungewöhnliche Kirche haben: sie ist größtenteils von einer zinnenbewährten Mauer umgeben, wodurch sie unter die Kategorie der Wehrkirchen fällt. Die Kirche und ihre Wehrmauer sind allerdings baufällig, weswegen Geld für eine Restaurierung gesammelt wird. Vor dem Torhauseingang der Kirche liegt übrigens ein Kriegerdenkmal dem wiederum ein extrem baufälliges Mehrfamilienhaus gegenüber liegt. Ich habe in Deutschland noch nie gesehen, dass ein derartig verrottetes Gebäude noch offensichtlich bewohnt wird. So etwas findet man selbst gegenüber auf der polnischen Seite nur noch schwer.

Niesky selbst ist nicht so trostlos und heruntergekommen wie die Dörfer in seiner Umgebung. Die Stadt wird gerne schlecht geredet, doch dadurch dass wir etliche Stunden vor Anpfiff des Eishockeyspiels da waren, konnten wir den knapp 10.000 Einwohner zählenden Ort ausgiebig besichtigen. Sehenswert ist die Siedlung mit den Holzhäusern und der Holzkirche, die neben dem vergammelten Fußballplatz am Rande einer Plattenbausiedlung beginnt. Andere, aber weniger sehenswerte Holzhäuser sind auch in der nähe des anderen Fußballplatzes – dieser wird regelmäßig von Eintracht Niesky (etliche Mannschaften, die I. Männer im Mittelfeld der Bezirksklasse Dresden) genutzt – und zwei weitere Kirchen befinden sich entlang der Hauptstraße (Süd-Nord-Achse). Eine davon ist am zentralen Platz zu finden, wo man einen Fachwerkbau, das Gymnasium und die Bibliothek findet. Weiter nördlich sind das Krankenhaus und Altenpflegeheim, das unbedingt einen Blick von außen wert ist, da es eine starke, erst kürzlich restaurierte barocke Fassade hat, und ein ganz nettes Waldstück mit zwei markanten Turmbauten – ein Wasserturm und ein Aussichtsturm – und dem Eisstadion zu finden. Essen fanden wir dann bei der nachmittags ausgestorbenen Gastronomie mal wieder nur bei einem Dönerimbiss; dieser befindet sich an der Straße zum Eisstadion gegenüber der einen Kirche und wird von jüngeren Leuten und Säufern frequentiert. Der Besitzer hatte zwar Reiseposter der Türkei und einen Kalender mit Motiven aus Mekka aufgehängt, aber sah so mitteleuropäisch aus und sprach auch so wie die anderen Lausitzer, dass ich fast glaube, den einzigen Dönerladen Deutschlands, der von einem Deutschen ohne den viel zitierten Migrationshintergrund betrieben wird, gefunden zu haben...
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Da Niesky für den Eishockeyfan oft doch nicht der nächste Weg ist, liegt eine Übernachtung nahe. Am billigsten ist dabei eine in sehr guten Zustand befindliche und freundlich geführte Pension in der Muskauer Straße, die für ein Doppelzimmer mit Frühstück nur 49€ pro Nacht verlangt (in Deutschland außer in Böhlen - DZ mit Etagenbad im „Apart“ ab 28€ - und Merseburg - Wohnanlage Sky Hotel, DZ mit Bad ab 32€ oder „Am Krummen Tor“ ab 36€ - kaum billiger zu kriegen!) und auf den bescheuerten Namen „Body Sun“ – rührt vom angeschlossenen Solarium her – hört. Dort checkten natürlich auch wir ein. Gegenüber befindet sich das einige Euro teurere Bürgerhaus mit einem Restaurant und mit einem Griechen gleich ein weiteres Restaurant in 20m Entfernung. Und zum Eisstadion sind es nur einige hundert Meter Fußweg.

In der Oberliga gibt es wieder eine enorm dominierende Mannschaft – und diesmal sind es nicht die Leipziger, sondern ihre Erzrivalen aus Halle, die 16 Spiele in Folge gewannen und von ihren 16 Siegen nur einen erst nach Verlängerung erzielten. Die Leipziger hingegen sind nach dem real dritten und gefühlt dreizehnten Bankrott lange abgeschlagen Letzter gewesen, haben aber vor kurzem erst zwei Siege hintereinander eingefahren und konnten so wenigsten an Schönheide vorbeiziehen. Zu den schwachen Teams zählen auch die Preußen Berlin. Die bisher nicht genannten anderen fünf sind das Mittelmaß und belegen die Plätze 2 bis 6: Chemnitz, FASS Berlin, Jonsdorf, Erfurt und Niesky.

Niesky und Jonsdorf standen sich heute in einem der wenigen offenen Eissportstadien Deutschlands gegenüber. Dabei war das letzte Aufeinandertreffen durch Verlegungen erst am 30.12. gewesen. Also das letzte Ligaspiel 2010 und das erste 2011 waren gleich die Derbys dieser beiden ostsächsischen Traditionsvereine. Dass bei der geographischen Nähe nicht unbedingt eine Freundschaft entsteht ist auch im Eishockey Gang und Gebe. So kann man auch z.B. die bitteren Klagen Jonsdorfer Anhänger gegenüber Niesky lesen, sie seien letzte Saison oder so in Niesky bepöbelt und handgreiflich attackiert worden. Heute sollte es so gesittet zugehen, dass man diese Aussagen in Zweifel ziehen möchte.

Aber jetzt erst mal zu diesem tollen Eisstadion: es ist von hohen Nadelbäumen umgeben am Rande eines Waldstückes zu finden, flankiert wird es von den beiden oben erwähnten Türmen. Der Eingangsbereich ist recht neu und auch die beiden Gebäude (Umkleiden, Imbiss, Garage für Eismaschine etc.) sind in einem guten Zustand. Die Spielfläche ist rundherum von einem recht hohen Netz umgeben, wodurch man nicht nur hinter dem einen Tor wo sich eine einfache zweireihige Stehtribüne aus Stahlrohren für 100 Zuschauer (Ultra-Block Niesky) befindet, immer eine Sichtbehinderung hinnehmen muss, sondern auch auf der Steinstufentribüne, die ebenfalls nur Stehplätze zur Verfügung hat, schon in die oberen der zehn Reihen gehen muss, um ohne Netz vorm Nischel zugucken zu können. Diese beiden ausgebauten Seiten zusammen haben insgesamt 1.100 Plätze zu bieten. Zudem sind 300 weitere Stehplätze ebenirdisch zugelassen. Am oben erwähnten Imbiss gibt es übrigens ordentliche Sachen von verhältnismäßig hoher Qualität, die meist 1,50€ kosten (dicke Knacker, Buletten, Wiener etc.) – der Eintrittskartenpreis von 7€ ist O.K. aber das Programm mit 2€ viel zu teuer: dann halt keine professionelle Druckerei nehmen sondern am Computer schwarz-weiß doppelseitig drucken und an der oberen linken Ecke zusammentackern...
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Die Fans waren wie schon am 30.12. (1.000 Zuschauer in Jonsdorf) recht zahlreich erschienen: der Stadionsprecher nannte 800 zahlende Zuschauer, was bedeuten würde, dass 500 nicht gezahlt hätten – oder eben viele Dauer- oder Freikarten, die nicht mitgezählt wurden am Start waren. Jedenfalls war diese Zuschauerzahl mal wieder Müll, denn überall standen die Leute dicht zusammen – außer am Rande des Hintertorblocks und in einer der vorderen Längstribünenreihen. Also kann man davon ausgehen, dass 1.300 Zuschauer anwesend waren. Stimmung war allerdings eher für 130 denn für 1.300: ein Derby zwischen Halle und Leipzig ist erheblich stimmungsvoller, aber auch aggressiver, als zwischen diesen beiden. Was auch immer der Vergangenheit vorgekommen ist oder auch nicht vorgekommen ist: Aggressionen gab es heute kaum bis gar nicht – Sprüche wie „hört ihr das Gestöhne, hört ihr das Gestöhne - Jonsdorfer Hurensöhne...“ sind doch ganz normal – und nach einer fragwürdigen Schiedsrichterentscheidung flog gerade einmal eine 30cm große Puppe aufs Eis. Das Intro fiel mit einigen Wunderkerzen des schwachen und nicht zu hörenden Gästesektors, sowie mehreren Handflaggen und Wunderkerzen auf der mittleren Längsseite als auch Flaggen und Doppelhalter im Ultrasektor, eher mittelmäßig aus.

Was das Spiel anging, so kann man da aber nicht mehr von mittelmäßig reden: verglichen mit anderen Spielen der eher niveauarmen Oberliga war das schnell, technisch O.K., sah viele Aktionen vor den Toren aber fast keine gröberen Fehler, und zudem extrem diszipliniert. Die Schiris übersahen zwar eine klare Zwei-Minuten-Strafe für die Gäste, aber selbst dann wären nur 10 Strafminuten ausgesprochen worden. So waren es heute nur 8 – verglichen mit den 84 Minuten am 30.12. lächerlich – was direkt tschechische Verhältnisse sind: man konzentriert sich auf Schlittschuh, Schläger und Scheibe statt auf Schlägereien wie das Ami-Pack.

Die Scheibe landete auch schon bald im Tor der Gäste – sah mir nach halbhoch an den Pfosten links vom Goalie aus. Im ersten Drittel tat sie das auch gleich zwei Mal, wobei das 2:0 von Niesky dem Torwart durch die Schoner gegangen war und noch insgesamt zu niedrig erschien, wenn man die Überlegenheit der Nieskyer bedachte. Im zweiten Drittel war das Spiel eher ausgeglichen und die erstarkten Jonsdorfer brachten den Ausgleich zustande. Im dritten Drittel war das Spiel zwar weiterhin gut, aber es kam zu keinem weiteren Treffer – weder in den ersten, noch in den zweiten zehn Minuten. Vor allem der ältere Fan weiß sofort bescheid, worauf ich anspiele: auf Eisflächen im Freien wird traditionell im letzten Drittel noch einmal nach 10 Minuten die Seite getauscht – in Hallen macht man das nicht mehr.

Dann gab es beim Stand von 2:2 Verlängerung. Diese dauerte nur eine halbe Minute, da Jonsdorf in der 59. Minute in Unterzahl gekommen war und Niesky beim 4 gegen 3 (ein Spieler pro Mannschaft weniger in der Verlängerung) eine starken Schuss halbhoch ins Netz donnerte. Das 3:2 wurde laut bejubelt und der Ultrasektor fackelte auch lässig drei Bengalfackeln und ein paar Knallkörper ab. So was wäre auch als Intro neben einem Fahnenmeer wünschenswert gewesen, aber bei zwei Derbys hintereinander ist das etwas übertrieben zu verlangen. Nur akustisch hätte da von den Zuschauern viel mehr kommen müssen: da machten nur 10% mit, obwohl 100% der Spieler alles gaben. Insgesamt muss man dem Tag und speziell dem Spiel aber eine hohe Qualität und einen starken Unterhaltungswert einräumen.
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Statistik:
Ground Nr. 510 (ein neuer Ground; diese Saison: 60 neue)
Sportveranstaltung Nr. 1.201 (diese Saison: 88)
Tageskilometer: 290 (Auto)
Saisonkilometer: 16.300 (11.000 Auto/ 2.290 Bahn, Bus, Tram/ 2.110 Fahrrad/ 800 Schiff, Fähre/ 0 Flugzeug)
Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 83
Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 231

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