Dienstag, 6. Oktober 2009
WE166A: Gotische Burgenbaukunst und böhmisches Essen
Zum Geburtstag meines Vaters, der das Ende der Semesterferien markierte, ging es noch einmal gen Osten. Diesmal in die Tschechische Republik. Am Freitag stand eine Burgentour auf dem Programm. Da wir drei mit dem Mietwagen erst gegen 13 Uhr loskamen, war sie natürlich kürzer geplant, als üblich.
Die Fahrt ging wie erwartet halbwegs zügig voran, wobei ich fast so einen bescheuerten LKW-Fahrer umgefahren hätte, der ohne zu gucken um seinen defekten LKW herumlief. Ohnehin waren von den selbsternannten Königen der Landstraße viel zu viele unterwegs, die die ein oder andere pannenbedingte Gefahrensituation verursachten. Dafür waren weniger von denjenigen Tschechen unterwegs, die rasen und drängeln obwohl sie ihr Auto nicht beherrschen. Nicht einmal Opas mit Hut, die nur 60 auf der Landstraße fahren, waren im Weg. Die rasende Sorte Fahrer scheint ja besonders stark der natürlichen Selektion zu unterliegen. Ich beobachte immer weniger Unfälle in Tschechien.
Die erste der beiden Burgen war die Burg Hašistejn (Hassenburg) im Dorf Místo (Platz). Diese hatten wir 10 Monate zuvor schon einmal aufgesucht, doch war sie wegen Schnee- und Eisglätte geschlossen. In der Tat ist ein Besuch im Winter nicht ratsam, aber im Sommer um so mehr. Auch jetzt im Frühherbst ist Hašistejn eine der schönsten gotischen Ruinen der Tschechischen Republik, dem Burgenland Nr. 1 in der Welt. Beide Türme sind zu besteigen, wobei an einen Leitern angelegt sind. Ein extrem niedriger, knietief überschwemmter Keller fällt links nach dem Tor zur Kernburg auf, auch die Reste einer Burgkapelle sind zu sehen. Auch die mehrfachen Ringmauern sind noch gut erhalten, was man von der Vorburg – es steht allerdings noch ein Turm und die Wälle sind recht stark – nicht behaupten kann. Sehr cool: die beiden Bänke in einem Raum des verfallenen Palas ohne Decken und mit kaum noch 50cm hohen Wänden, den man nur mit einem großen Schritt über eine ein Meter breite Ritze unter der es drei Meter ins Erdgeschoss runter geht, erreicht. Die umliegende Landschaft ist auch ansprechend: bewaldete Berge zu drei Seiten, kaum besiedelt, mit Felsen durchwirkt, die sich zu einer Seite zu einem Tal hin öffnen. In diesem Tal tut sich der Blick auf ein Kraftwerk auf.
Dann besichtigten wir noch die Burg Egerberk bei Lestkov. In Klášterec nad Ohří muss man – man schenke allerdings auch dem Schloss und dem Rest der Altstadt Beachtung, was wir aber vor zwei Jahren schon getan haben – den Wegweisern nach Rašovice folgen und rechtzeitig vor diesem Ort nach Lestkov abbiegen. In Lestkov erreicht man bald einen kleinen Platz vor einem Gutshof und einem hohen Baum, wo man Parken sollte. Dann noch einen halben Kilometer den Wanderschildern nach und man steht am Fuße der Burg Egerberk. Diese gotische Ruine ist nicht so groß und eindrucksvoll wie Hašistejn, auch nicht so gut erhalten, aber für Freunde von Burgruinen und gotischer Baukunst lohnend. Schon allein die Kletterei innerhalb der völlig ungesicherten Ruine. Rutsch- und Absturzgefahr besteht da natürlich überall! Am besten erhalten ist noch der Palas. Wie groß die Burg einst war, erkennt man unschwer an den schuttgefüllten Gräben.
Wir fuhren dann nach Žatec weiter, checkten im „U Hada“ (Hotel zur Schlange) ein und fuhren nach Blšany. Nein, kein Fußball; diesmal nur Essen. Ich teilte mir mit dem Alt-Groundhopper zum einen die Spezialität des Hause (verschiedene Fleischscheiben mit Schinken auf Kartoffelpuffer in Knoblauchsoße mit einem halben Pfirsich mit Sahnehäubchen, in der eine Walderdbeere steckte; 6,50€) und die Leber mit böhmischen Knödeln, Chili-Ketchup-Soße und scharfem Salat (5,50€). Die Atmosphäre im Motorest war so freundlich-lahm wie immer. Eben ein typisch tschechisches Lokal. Unfreundlich war keiner, herzlich aber auch nicht. Am freundlichsten war noch der Kellner, was ungewöhnlich ist: sind die normalen Einheimischen meist sehr hilfsbereit und höflich, wenn auch stets nüchtern, sachlich und kühl, so sind Kellner und andere Angestellte im Dienstleistungssektor wegen ausbeuterischen Löhnen und dummen Gästen oft zu jedem, noch so freundlichen Gast, unhöflich und unmotiviert. Der war allerdings die Ausnahme und übrigens auch nicht das einzige bekannte Gesicht, denn die Stammgäste, die wir im April schon getroffen hatten, nachdem wir Chmel Blšany gegen Arsenal Česká Lípa gesehen hatten, lungerten mal wieder bei Bier, Becherovka und Zigaretten am großen Tisch vor der Theke.
Statistik:
Tageskilometer: 350 (Auto)
Saisonkilometer: 10.880 (9.900 Auto/ 890 Fahrrad/ 90 öffentliche Verkehrsmittel/ 0 Flugzeug)
Photos and English version: HERE
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