Sonntag, 11. November 2018

W640IV: Geburtsstätte des mexikanischen Fußballs, Bergwerksbesuch und Stierkampf

Photos:
a) Mexico: Mining Town Real del Monte
b) Mexico: Death Cult
c) Bull Fight in Tlaxcala, Mexico
Mineral de Monte (aka Real de Monte) Am Donnerstag, dem Vorabend des Tags der Toten, besuchten wir eine weitere interessante Bergbaustadt in Zentralmexiko. Mineral del Monte, auch als Real del Monte bezeichnet. Wie der Name schon sagt, befindet sich die Kleinstadt in den Bergen. Diese sind im ganzen Bundesstadt Hidalgo mit 3.000km Stollensystemen zur Kohle-, Silber- und Goldgewinnung durchzogen. Da im 19./ 20. Jahrhundert auch viele Briten (Engländer, Waliser, Cornish) zum Bergbau kamen – meist unintegrierte Abenteurer – ist Real del Monte kulturell recht kurios und die Wiege des mexikanischen Fußballs. Das kleine Stadion eines Amateurvereins liegt landschaftlich klasse, doch das erste Fußballspiel Mexikos zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand im Ortskern hinter einem der Bergwerke statt – heute ist dort leider ein Parkplatz, aber immerhin auch ein schickes Denkmal. Die Briten haben außerdem den neuen Lieblingssnack der mexikanischen Arbeiter eingeschleppt: Pastes (gefüllte Pasteten). Wir besichtigten außer dem Cornishen Friedhof die größte Mine von Real del Monte: Mina Acosta. Mit Führung dauert das gut 2 Stunden. Leider sind die Führungen ausschließlich auf Spanisch – es kommen allerdings auch nur wenige ausländische Touristen. Mineral de Monte (aka Real de Monte) Durch die lange Führung kamen wir in Tlaxcala erst zur zweiten Hälfte einer umstrittenen Kunstveranstaltung. Der Stierkampf – ja nach Art der bekämpften Stiere und dem Erfahrenheitsgrad der Kämpfer (Toreros/ Matadores) als Corrida (ältere Bullen) oder Novillada (jüngere Bullen unter 500kg) bekannt – ist kein Sport (deporte), sondern wird als Kunst (arte) in den wenigen Ländern, in denen er praktiziert wird, bezeichnet. Außer weiten Teilen Spaniens und Teilen Südfrankreichs sowie Portugals, gibt es das zweifelhafte Spektakel natürlich in vielen lateinamerikanischen Ländern. Faktisch ist zumindest in Mexiko der Stierkampf viel weniger umstritten als in Spanien, wo derlei mittelalterliche Traditionen bei einer bestimmten, europawärts gewandten liberalen und v.a. jüngeren Schicht Abscheu hervorrufen. So sind in Mexiko auch die Zuschauerzahlen nicht nur wegen der größeren Einwohnerzahlen höher. In der Stierkampfarena in Mexikostadt kommen auch mal 40.000 zu den wichtigsten Events – es ist weltweit die größte Stierkampfarena. Nummer zwei mit 25.000 Plätzen ist eine Anlage in Venezuela und erst die Nummer 3 mit 23.000 ist die größte Arena Spaniens (Las Ventas, Madrid).

Mit einer Novillada vor gut 1.500 Zuschauern in der 5.000 Leute fassenden Arena in Tlaxcala hatten wir da noch einen sehr kleinen Rahmen ausgesucht. Aber auch diese symmetrische und regelmäßig runde Arena mit angrenzendem Kirchturm und einem Arkadengang in den oberen Reihen hier in Tlaxcala lohnte allein wegen der Anlage das Kommen. Mir war schon bei einem Spanien-/ Portugal-Aufenthalt aufgefallen, dass allein von außen diese Arenen unheimlich ästhetisch sind. Innen sind diese auch um Klassen besser und schöner für das Zuschauerauge ausgestattet, als die meisten Sportanlagen. Viele Stierkampfarenen sind architektonisch und bauästhetisch in einer Liga mit Stadien wie Olympiastadion Stockholm, Haupttribüne Weinaupark Zittau oder Edelstahlkampfbahn Krefeld. Wer mehr sehen will, sollte einfach nur mal die Liste spanischer Plazas de Toros anschauen – einige sind völlig zurecht als Baudenkmal geschützt!  Novillada So viel zur Anlage... Zum Publikum: von kleinen Kindern bis Rentnern war hier alles vertreten. In Spanien sind es wohl überwiegend alte Männer, die dem Treiben folgen, doch hier in Mexiko gehen selbst junge Frauen oder Männer aller Bildungs- und Altersklassen zum Stierkampf. Sicher gibt es auch Gegner, aber die sind eher ruhig und können sich nicht so viel Presse sicher sein wie in Spanien und Europa. Ich hatte keine Lust, mir etwas von den „Fanständen“ zu holen, aber es war interessant zu beobachten, wie Kinder hier Plüsch-Stiere aussuchten oder junge Frauen Ohrringe mit Stiermotiven oder Ketten mit den typischen Schwertern, mit denen der Stier in der letzten Phase des Kampfes erlegt wird, kauften. Hätte ich diese Anhänger Khatereh oder Rama mitgebracht, hätten die mich erlegt... Trotz allseits bekannter und weitestgehend akzeptierter ritueller Schlachtungen von Tieren im Islam sind vor allem alle Musliminnen die ich kenne extrem angewidert vom Stierkampf – in einigen spanischen Ex-Kolonien wurde das Schlachtspektakel übrigens verboten, so z.B. in Marokko, wo es Stierkampf nur noch im weiterhin spanisch besetzten Melilla gibt, aber in Tanger durch königliches Dekret von Hassan II eben nicht mehr. Allerdings fress ich so nen Stier roh, wenn Hassan II das aus Tierliebe entschieden hat und nicht aus Hass auf alles Fremde v.a. alles mit den ehemaligen Kolonialherren Spanien und Frankreich in Verbindung stehende... 

Wo wir eben schon bei der Verbindung Stierkampf und Opferfest waren: dieser Stierkampf ist ja nichts anderes als eine rituelle Schlachtung. Man kann ja direkt froh sein, dass die Spanier gemäßigtere rituelle Schlachtungen eingeführt haben als die zuvor in Mexiko üblichen. Da wurden alle möglichen Tiere aber auch Menschen, mitunter nach Ballspielen, geschlachtet. Manche Leute behaupten, in Mexiko wäre der Stierkampf deshalb so beliebt, weil es einfach als eine Nachfolgetradition der aztekischen und Maya-Opferkulte erlebt wird. Oder böse ausgedrückt: weil in Mexiko halt der Tod etwas positiver betrachtet wird als anderswo und Gewalt eben mehr zum Alltag gehört. Bei aller Gewalt in Europa oder den USA, aber hat einer meiner Leser so etwas schon mal woanders als in Lateinamerika, Teilen Afrikas oder Asiens in den letzten Jahrzehnten gelesen: 170 Tote in einem Massengrab im Zusammenhang mit dem Drogenkrieg oder öffentlicher Lynchmord an vermeintlichen Kindesentführern?

Zurück zum Stierkampf selbst: so ein Kampf Mann gegen Stier dauert gut 20 Minuten. Nach Ankündigung wird ein wildgewordener Stier, der zuvor jahrelang gut behütet unter besten Bedingungen mit dem allerbesten natürlichem Futter in den tollsten Landgütern großgezogen wurde, in die Arena gelassen. Hinter hölzernen Schutzabsperrungen wedeln Assistenten des Stierkämpfers mit Tüchern um den Stier weiter anzuheizen. Dann hampeln diese Assistenten vor dem Stier herum, um sich dann hinter diese Schutzvorrichtungen zu retten. Zwei Lanzenreiter auf gepanzerten bzw. gepolsterten und mit Scheuklappen geblendeten Pferden reiten ein, der, der am nächsten dran ist, sticht den Stier mit seiner Lanze blutig. Dann geht es bald richtig los und der Torero betritt in einem barocken spanischen Kostüm den Ring. Er lockt den Stier an lässt ihn ins Leere laufen. Dann kommen zwei weitere Assistenten, die je zwei Dolche in den Rücken des Stieres rammen. Der Stier wird verzweifelter und der Torero lockt ihn weiter an und macht ihn dumm. Wenn der oft genug durch das Tuch gelaufen ist, bekommt er das Schwert vom Torero in den Nacken gestochen und bricht bestenfalls schnell tödlich getroffen zusammen. Immer wieder werden auch Toreros oder deren Assistenten verletzt, heute flogen auch zwei über den Stier drüber, blieben aber ohne Verletzungen. Selten wird ein Stier während des Kampfes begnadigt – wenn der Torero z.B. nicht mehr kann – aber meist wird das tote Vieh, nachdem ihm für den erfolgreichen Torero ein Ohr oder bei einer herausragenden Show der Schwanz abgeschnitten wurde, von Reittieren aus der Arena gezerrt und dann ins Schlachthaus gefahren. Dort wird der Stier zu Gelatine, Tierfutter und verzehrfertigem Fleisch verarbeitet. Sehr guter Artikel dazu hier: https://www.livescience.com/56488-what-happens-to-bulls-after-bullfight.html
Wegen diesem letzten, praktischen Aspekt finde ich Stierkampf gar nicht mal mehr so schlimm – würde ich mir in Spanien oder so in einer dieser tollen Arenen glatt noch mal angucken... Novillada Statistik:
- Tourkilometer: 570 (570km Mietwagen)
- Saisonkilometer: 25.840 (15.270 Auto, davon 5.270 Mietwagen/ 9.600 Flugzeug/ 970 Fahrrad/ unter 10 Schiff, Fähre / 0 Bus, Bahn, Straßenbahn)

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