Der östliche Leipziger Vorort Engelsdorf, vor wenigen Jahren noch eine eigene Gemeinde, ist Heimat des SV Lokomotive, die ihrem Namen als Eisenbahnerverein alle Ehre machen: eine Zugachse auf einem Stück Schiene im Eingangsbereich, entsprechende Wandmalereien und dann auch noch eine Bahnverkehrschildersammlung in der Vereinsgaststätte. Bevor wir diese aufsuchten, langweilten wir uns bei einem A-Jugendspiel. Die beiden Mannschaften und der Stadionsprecher gaben vor, ein Spiel der Landesliga darstellen zu wollen, doch verglichen mit dem Spiel am Sonntag davor, dem A-Jugendmatch in Lindenau, das der Bezirksklasse zugeordnet werden musste, war dieses zwei Klassen höher stattfindende Spiel vier Klassen schlechter. Kaum ein Pass kam an, Chancen gab es nicht viele – und die, die es gab, wurde kläglich verstolpert – Technik überhaupt nicht vorhanden und während bei den Gästen aus Hohenstein-Ernstthal wenigstens ansatzweise ein kleines bisschen Spielkultur und -fluss zu sehen war, betätigte sich Engelsdorf nur mit kopflosen Gebolze. Kurz vor der Pause gelang den Gästen ein Glückstreffer, der eine Viertelstunde vor Abpfiff durch einen weiteren Glückstreffer ausgeglichen wurde. Zum Glück erzielte Hohenstein-Ernstthal noch ein weiteres Tor – der sehenswerte Heber über den Torwart war die beste Aktion des Spiels überhaupt – während Engelsdorf der 2:2 Ausgleich in der 90. Minute fragwürdigerweise aberkannt wurde. Völlig verdient! Der Schiri war übrigens der einzige, der im Vergleich zum vorigen A-Jugendspiel besser war. Die Fehlentscheidung traf auch der Linienrichter, der vom Alter her möglicherweise seinen ersten Einsatz hatte. Nach dem verdienten Sieg – die Gäste waren die weniger schlechte zweier schlechter Mannschaften – ging es ans Essen im Vereinslokal. Dort gibt es gute deutsche und italienische Küche zu akzeptablen Preisen. Auf jeden Fall eine sehr gute Vereinskneipe, als besser kenne ich nur das Sportlerheim in Dölzig. Nach einer Stunde ging es weiter: quer durch Leipzigs Innenstad.
Nach beinahe einer weiteren Stunde waren wir dann endlich in der nach unserem Heimatort benannten Straße, wo der verrückteste Fußballclub Leipzigs als Untermieter zugange ist. Die Rede ist von der Ballsportgemeinschaft (BSG) Chemie Leipzig, die erst vorletzte Saison von den bei FC Sachsen (ehemals Betriebssportgemeinschaft (BSG) Chemie Leipzig) vertriebenen Ultras „Diablos“ und anderen Anhängern gegründet wurde. Die letzte Saison lief hervorragend: von 0 auf Platz 1 mit 25 Siegen aus 28 Spielen, sowie 158:18 Toren. Eine der beiden Niederlagen war eine 2:0-Wertung (das Spiel ging 1:1 aus), die andere ein 2:1. Fünf Spiele wurden zweistellig gewonnen, wobei gegen Kursdorf beide Male 11:0 gewonnen wurde. Die Zuschauerschnitt lag bei Heimspielen bei über 300 – die anderen Vereine der 3. Kreisklasse ziehen (außer gegen Chemie, wo der Zuschauerschnitt oft verzehnfacht wurde) 20-50 Zuschauer im Schnitt. Was doch alles möglich ist, in einer selbsternannten Sportstadt mit 560.000 Einwohnern, in der die besten Fußballvereine in der 5. Liga spielen und Konkurrenz von einem von Red Bull zusammengekauften Söldnertrupp aus der Nachbarstadt Markranstädt, die unter politisch wie geographisch falschem und zudem scheinheiligen Namen antritt, bekommen. In einer Großstadt, deren Volleyballverein ebenso bankrott ist wie deren Eishockeyclub. In Leipzig, wo Frauenhandball die größten sportlichen Erfolge feiert. Was die Zuschauer betrifft, so ist auch eine Klasse höher (2. Stadtklasse) alles beim Alten geblieben. Die Ultras sorgen für eine in dieser Spielklasse einmalige Stimmung. Auch diesmal mit einer kleinen Choreo in der zweiten Halbzeit (ob damit ein Schulanfänger gegrüßt werden sollte, kann ich nicht 100%ig sagen – kann auch irgendein komischer Insiderwitz sein), etlichen Doppelhaltern und Hand- und Blockfahnen und natürlich auch Gesängen. Diese waren allerdings nur Standard. Da von maximal 150 Leuten auf einem offenen Fußballplatz mit unüberdachter Sitztribüne getragen, waren diese auch nicht wirklich eindrucksvoll. Aber wie gesagt: es war etwas Besonderes vom Umfeld her und ich kann die Anhänger, Verantwortlichen und Spieler der BSG nur darin bestärken, so weiter zu machen! Teil des Leipziger Wahnsinns waren übrigens auch die Eintrittspreise von 3€ (weit gefächerte Ermäßigung: 1,50€ - immer noch wahnsinnig hoch), da man meistens freien Eintritt zu dieser Spielklasse hat. Die Preise hängen jedoch nicht mit Aufwandsentschädigungen für Spieler zusammen, sondern mit der hohen Platzmiete und dem Ärger mit der Stadt Leipzig, die Sicherheitsaufgebot bei Spielen des Vereins verlangen. Da die Preise auf der Website und im Programmheft angekündigt wurden, ärgerte ich mich auch nicht weiter darüber. Bei jedem anderen Verein dieser Spielklasse hätte ich den Kassierer belappt. Chemie Leipzig kam in der ersten Halbzeit nicht mit dem Spielen gegen den starken Wind zurecht, sodass Großdalzig vor allem vor dem Tor die bessere Mannschaft war. Chemie hatte kaum Chancen, wobei ein Lattentreffer und ein knapp vorbei gesetzter Fallrückzieher die Highlights waren. Beim Stande von 0:0 ging es in die Pause. Man musste von einem langweiligen Spiel reden. In der zweiten Hälfte wurde das Spiel klar besser: BSG Chemie wurde nun von Wind getrieben und nutzte vor allem ihre technische und läuferische Überlegenheit aus. Das 1:0 war also nur eine Frage der Zeit. Kevin Kieb schlug in der 50. zu: schön durch die Abwehr gespielt! Kurz darauf jedoch wurde ein berechtigter Elfmeter von den Gästen sicher gegen den Wind verwandelt. Bis zur 80. wurden jedoch von den Chemikern noch zwei weitere Treffer erzielt, die die Entscheidung zu ihren Gunsten brachten. Der Schlusspunkt der Partie war ein toller Freistoß von Großdalzig, der unter die Latte gezimmert wurde. 3:2 war für Eintracht allerdings schmeichelhaft. Hätte auch locker 6:2 enden können, aber im Strafraum versagte Chemie oft kläglich. Ansonsten: ein Lob an die Gastgeber für wirklich gute 45 Minuten! Die ersten 45 vergessen wir mal lieber... Aber das halbe Spiel reicht ja auch oftmals zum Sieg und diese Leistung der BSG reicht auch für die Stadtliga. Der Wind, der die BSG in Halbzeit eins nervte, nervte uns dann auf der Rückfahrt mit dem Rad: über 30km lang starker Gegenwind – knapp zwei Stunden Fahrtzeit.
Statistik: Ground Nr. 345 (zwei neue Grounds; diese Saison: 14 neue) Sportveranstaltung Nr. 876 (diese Saison: 18) Tageskilometer: 90 (Fahrrad) Saisonkilometer: 7.130 (6.680 Auto, 450 Fahrrad, 0 Bahn, 0 Flugzeug) Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 3 Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 161 Fotos unter: A-Jugendspiel CHEMIE LEIPZIG


Was derlei derbe Worte in der Überschrift verloren haben? Nun, ich fand es auch recht dreist, wie sich die Spieler des SV Lindenau 1848 auf die A-Jugend Bezirksklassepartie gegen Blau-Weiß Leipzig einschworen: beim Bilden des Kreises wurde „[...] ficken die ganze Welt! Hol ihn raus, steck ihn rein: alles für den Verein! [...]“ gebrüllt. Wenigstens lustig und provozierend! Aber irgendwie wieder typisch für die pubertierenden Minderjährigen in den Jugendspielklassen, die immer übers Ficken labern, aber selbst noch gar nicht zum Schuss gekommen sind.
Zum Schuss kamen sie allerdings wenigstens im fußballerischen Sinne auf dem Platz, wobei das erste Tor für die Gäste fiel. Völlig unverdient von den Spielanteilen und Chancen her, köpfte Blau-Weiß die Führung. Kurz darauf jedoch der erste erfolgreiche Torschuss des 9ers von Lindenau, dem klar besten Spieler auf dem Platz. Der 11er war auch gut, jedoch erzielte er nur aus Abseitsposition (3m) die Führung. Gleich darauf wurde dem 9er ein Treffer zu Unrecht aberkannt, doch er legte vor der Pause noch zum Hattrick nach: 3-1 und 4-1.
Nach der Pause wurde auch der schwache Schiedsrichter, der anscheinend Sehprobleme hatte – er schien wirklich nicht den Radius, mit dem man normalerweise eine Spielfeldhälfte einsieht, abdecken zu können, was die vielen Fehlentscheidungen beim Abseits erklären würde – besser. Blau-Weiß blieb jedoch chancenlos, denn gleich nach Wiederbeginn wurde trocken das 5:1 nachgelegt. Nach dem 6:1 gab es einen Durchhänger, ohne den Lindenau zweistellig gewonnen hätte. So legten sie in der Schlussviertelstunde noch vier Mal nach, wobei einmal der Schiri erneut fälschlich Abseits erkannte. 9:1 also der Endstand in einem flotten A-Jugendspiel.



Am Sonntag, dem dritten Tag unserer Reise, sollte auch die letzte Nachbarnation in Sachen Fußball abgehakt werden können. Bevor es zum Prestigeduell der Schweiz, dem Klassiker FC Basel gegen FC Zürich, kam, guckten wir allerdings nach dem Frühstück im ETAP Mulhouse natürlich noch ein paar Sehenswürdigkeiten an.
Als die Mannschaften Aufstellung nahmen, wurde in beiden Fansektoren auch ganz gut gezündelt. Gerade die Basler mit ihrer Feuerwerksbatterie waren nicht schlecht. Nicht schlecht war auch der akustische Support. Der Gästesektor war etwas zu weit weg und auch von unserem Platz nur zu 1/5 einsehbar - scheiß verspiegelte VIP-Loge! - aber auch ab und zu zuhören, und die Muttenzerkurve war topp. Sehr italienische Melodien, viel Bewegung. Nur leider beschränkt auf den Unterrang, wobei man sagen muss, dass im Oberrang auch immer wieder mitgemacht wurde. Allerdings machten nur die Leute mit, die 23€ gezahlt haben. Die teureren Plätze kriegen nur selten die Klappe auf. Allerdings machte der Anhang des FC Basel generell einen stimmungstechnisch besseren Eindruck als alle bisher erlebten Bundesligafangemeinden (inklusive Eintracht Frankfurt und Schalke 04, die ja oft lobend hervorgehoben werden). Nur an Südosteuropa kommt man nicht ran. Und z.B. in Polen oder Tunesien wird zumeist geschlossener supportet.
Innerhalb von drei Tagen hieß es drei neue Länderpunkte zu machen. Der erste Punkt sollte am Freitag fallen. Es ging um 6 Uhr morgens los und wir kamen bis zum Ende der Autobahn hervorragend durch. Erst ab Lindau wurde es nervend, denn dieser hässliche Bodensee ist bekanntlich total zersiedelt. Somit sind die Straßen auch so überfüllt, dass zwischen Deutschland und Österreich teilweise nur im Schritttempo gefahren werden kann. Stoßstange an Stoßstange bis weit ins südöstliche Nachbarland hinein, doch je näher man Feldkirch kam, umso besser wurde es. Wir durchfuhren auch Dornbirn, eine abartig hässliche Stadt, die uns nur wegen Fußball interessierte. Doch dazu später mehr.
