Sonntag, 12. Januar 2014

W389I: Ein Stadion an einem heiligen Felsen

Club Union Sportif Azrou (نادي الاتحاد الرياضي أزرو)
.................................. 2:1 (1:1) ................................
- Club de Estudiantes de Tetuán (نادي طلبة تطوان) -
- Datum: Samstag, 11. Januar 2014 – Anstoß: 14.30
- Wettbewerb: GNF Amateur 2, Groupe Nord-Ouest [بطولة القسم الوطني الثاني هواة] (d.h. 4. Marokkanische Liga; 2. Amateurliga, Gruppe Nord-West)
- Ergebnis: 2-1 nach 97 Min. (46/51) – Halbzeit: 1-1
- Tore: 1-0 17. Nr. 5?, 1-1 27. Nr. 2, 2-1 80. Nr. ?
- Verwarnungen: Nr. 2, 7, 13, ?, ?? (CUSA); Nr. 4, 5 (CET)
- Platzverweise: keine
- Spielort: Complex Sportif de Azrou, Annexe [ملحق المركب الرياضي بأزرو] (Kap. 1.500; davon 750 Sitzplätze)
- Zuschauer: ca. 350 (darunter keine Gästefans?)
- Unterhaltungswert: 6,0/10 (Mittelmäßiges Niveau, spannender Spielverlauf) Photos with English and Arabic Commentary:
a) Moroccan 2nd Amateur League: Union Azrou defeat Estudiantes Tetuán
b) Middle Atlas: Cedar Forest of Azrou, Azrou Town Centre with the Holy Rock

Montag waren für die Kinder die Schulferien vorbei, doch ihr Onkel Abdellah aus Casablanca war seit Sonntag zu Besuch und lud alle nach Moulay Yacoub ein. Da es ein Thermalbad (15km nordwestlich von Fès in einem Bergdorf) und kein normales Hamam ist, ist es auch für die Einheimischen ein Erlebnis – für mich als Ausländer ist es in Sachen arabischer Badekultur natürlich noch ein anderes Erlebnis. In den traditionellen Bädern von Moulay Yacoub sind so gut wie keine Ausländer anzutreffen. Natürlich gibt es eine Trennung nach Männern und Frauen sodass Rita und Khadija nach dem Eingang rechts ab und wir links ab mussten, denn das andere Geschlecht fast nackt zu sehen ist in fast allen Kulturen ein Tabu. Mit Abdellah, Mohammed, Zakariya und Hamza in dem schlecht beleuchteten und enorm heißen, salzigen und nach Schwefel riechenden Thermalbecken zu baden war natürlich lustig, denn die zeigten mir alles, was zu so einem Bad dazugehört: auch der mehrmalige Wechsel in die saukalte Vorhalle, vor dem man sich mit einem harten Waschlappen (brennt wie Sandpapier das Ding) abreibt, danach wieder ins warme Wasser und mit den dauerkrakeelenden Jugendlichen mehr Planschen als Schwimmen. Abdellah musste als ehemaliger Marineingenieur und -offizier natürlich allen zeigen, was eine richtige Massage ist: es gibt auch einen Masseur der gegen Geld eine normale Massage durchführt, aber das ist natürlich nichts gegen die kostenlose Marine-Massage von Abdellah, der irgendwie Massieren und Wrestling nicht so ganz auseinanderhalten kann…

Nach drei Stunden Aufenthalt brachen wir wieder gen Fès auf, was natürlich nicht ganz stressfrei verlief. Denn von den Erlebnissen in Sachen Badekultur mal abgesehen, ist Moulay Yacoub natürlich leider ein Tourismus-Erlebnis und das heißt in Marokko schlicht und ergreifend Stress: alle Gassen des Ortes sind von Läden die selbst von einfachen Einheimischen überhöhte Preise verlangen gesäumt, schon an der Kasse zum Thermalbad sollte Abdellah statt 7 Tickets zu je 4 Dirham wegen mir für 9 bezahlen was er mit der Begründung „1. ist er nicht ,der Ausländer da‘ sondern der Mann meiner Tochter [Anmerkung: er hat in Wirklichkeit nur zwei Söhne…] und damit ein Familienmitglied und 2. ist Rita hier erst 5 und kommt erst dieses Jahr in die Schule [Anmerkung: sie ist schon 3. Klasse], also verlang gefälligst nicht mehr als 24 Dirham von mir“ erfolgreich zu seinen Gunsten ausschlug bzw. den Kassenwart ja sogar um eine Karte für die 8jährige Rita als Revanche für den Abzockversuch prellte – und schließlich hatte ein Kumpel vom Parkwächter, der 5 Dirham Parkgebühr wollte, in unserer Abwesenheit unaufgefordert das Auto gewaschen, was anständige Marokkaner wie Mohammed mit 3 statt den üblichen 30 Dirham und dem Hinweis „hättest du Bescheid gesagt, würde ich dir das Zehnfache zahlen“ löhnen... 
Samstag gab es auf dem Weg nach Azrou übrigens mal ein interessantes Nachrichtenprogramm im Radio, das das Unterrichtsthema vom Freitag noch mal aufgriff: von wegen man kann nur in Deutschland oder der westlichen Welt „politisch korrekt“; die Berber aus der Souss-Region sind angeblich geizig und es gibt jedenfalls viele Witze darüber, doch wenn ein Politiker öffentlich so einen Spruch über die geizigen Soussiya raushaut, heißt es auch hier in Marokko gleich „Rassismus“ und „Diskriminierung der Minderheiten“.

Was andere Politiker so raushauen ist natürlich noch schlimmer: aber wenn von den kaum 40% die an der letzten Wahl teilgenommen haben, die Mehrheit eine erzkonservative Partei wie die Adala-wa-Tanmiya wählt, die sich schwer tut sich von kriminellen Geistlichen zu distanzieren und Reformvorschläge der Opposition wie die Erbrechtsreform als „Unsinn von Ungläubigen“ abtut, braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Mordaufrufe gegen veränderungswütige linke Politiker nun auch zum politischen Ton gehören.

Die angesprochene Erbrechtsreform (z.B. bei einem männlichen und zwei weiblichen Erben erhält der Mann - gemäß althergebrachter religiös-sozialer Vorschriften aus dem Koran - bisher 50% und die Frauen je 25%, soll nach Willen der linken und gemäßigten Opposition jetzt 33,3% für jeden werden) und einige andere Ideen, z.B. die schon in Teilen durchgesetzte Scheidungsrechtsreform, stoßen aber in weiten Teilen der Bevölkerung - selbst bei Gebildeten und Leuten die gerne (zumindest zum Schein) einen auf „westlich“ machen - auf Ablehnung, da teilweise klare Widersprüche zum Koran und den Hadithen erkennbar sind. Und obwohl auffällig viele dieser Reformen und Veränderungsvorschläge Frauen direkt oder indirekt betreffen, sind selbst diese in der Mehrheit überhaupt nicht interessiert an Veränderungen – auch eine wie meine Lehrerin, die es sich in ihrer Situation leisten könnte, Forderungen zu stellen.

An sich verlief aber die Fahrt nach Azrou, der Nachbarstadt von Ifrane, knapp 75km von Fès entfernt, recht unspektakulär. Nur der Trottel, der meinte er können seinen Tieflager mit Dampfwalze mal einfach vom Bauhof in El-Hajeb auf direktem Weg über den Wochenmarkt in El-Sebt (der Ort heißt auch noch: Samstagsmarkt!) zur Baustelle auf der Bundesstraße zwischen Fès und Ain Chgag bringen, hielt in besagtem Ort den Verkehr für 10 Minuten auf.  
Aber auch so ist man in etwa anderthalb Stunden in der Ortsmitte, die eine große Moschee und der namensgebende Felsen (Azrou heißt „Felsen“ in einem der Berberidiome) zieren. Dieser Felsen war früher eine Kultstätte und da sich unter den Berbern noch trotz Islamisierung einige alte Bräuche erhalten haben, ziehen einige Europäer gerne den Trugschluss, dass Berber weniger konservativ oder weniger anfälliger für Radikalisierung seien als Araber. Das ist aber höchstens in Algerien der Fall und dort auch wahrscheinlich nur in der Kabylei, während in Marokko selbst und gerade die Kabylen (v.a. Nador) durch sehr strengen Sittenkodex und konservative bis radikale Islamauslegung auffallen. Ich kenne einige Berber persönlich – nicht einer bzw. eine davon ist so lässig drauf wie die meisten in meiner arabischen Gastfamilie!

Wie das mit der Bedeutung des Felsens steht ist ja auch egal: Fakt ist, dass man von dort einen hervorragenden Blick auf den Hauptplatz und einen mäßigen auf den Nebenplatz hat. Gleich hinter dem Felsen spielt nämlich Ittihad Azrou. Ittihad, d.h. Union, hat eine der besten Facebook-Vereinsseiten die ich je gesehen habe: alle möglichen Infos über den Club aus der Zedernstadt mit der Zeder im Wappen kann man unter https://www.facebook.com/cusafoot einsehen!

Ein Problem des unterklassigen deutschen Fußballs ist, dass die Vereine auf fussball.de meist zu blöd sind (selbst bis in die Verbandsliga hinauf) anzugeben, ob auf dem Haupt- oder dem Nebenplatz gekickt wird. Doch das klappt in Marokko erstaunlich gut: bei Adrare-Sports und auch dem Verband war für die Partie angegeben „Annexe“ bzw. „ملحق (mulħaq)“ und tatsächlich wurde auf dem Nebenplatz gespielt. Normalerweise würde ich da nicht hingehen, wenn ich das schon vorher weiß – aber der Nebenplatz des Sportkomplexes von Azrou ist keineswegs ausbautenlos und auch nicht viel schlechter als der Hauptplatz. Während der Hauptplatz zwei kleine Tribünen, davon eine überdacht und einen mit Laufbahn umgebenen völlig verrotteten Rasenplatz direkt am Felsen zu bieten hat, befindet sich der enge, sandige Lehmplatz mit einer fünfreihige Betontribüne entlang einer Längsseite direkt unterhalb des Hauptplatzes.

Es fand sich eine etwas dürftige Zuschauerkulisse von nur wenig mehr als 350 Fans aus Azrou ein. 50 bis 100 Jugendliche bemühten sich redlich mit Trommeln, Becken und Gesängen ihre Mannschaft zu unterstützen. Die Älteren meckerten ab und an oder quatschten mal kurz mit mir. Die Polizei fiel hier als besonders dämlich auf: einer mit großer Mütze schickt alle hinterm Tor ohne ersichtlichen Grund gen Tribüne weg, nach fünf Minuten stehen dort wieder alle (inklusive mir) an gleicher Stelle. Der Hilfspolizist hat sich mittlerweile ne Kippe angesteckt und will wieder alle wegschicken, was einer der älteren Haratin richtig beantwortete: „Rauche nicht im Dienst, dann hören wir auch was du willst!“ Jedenfalls blieben dort alle bis zum Spielende stehen und zur Erklärung, auch wenn es eigentlich nichts mit dem lustigen Dialog der beiden Männer zu tun hat: die Haratin sind schwarzer Marokkaner, die Nachfahren von Sklaven sind, welche bis maximal in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts Arbeitsdienste für Grundbesitzer (diese Herren waren meistens die sich selbst als „Freie Menschen“ (Imazighen) bezeichnenden Berber, mit viel Landbesitz den die Schwarzen bewirtschaften mussten – aber natürlich auch einige Araber) erledigen mussten.

Das Spiel fing mit klarer Feldüberlegenheit und guten Chancen (u.a. Lattenknaller) der Gäste, dem Studentenclub (Arabisch: Nady Talaba, Spanisch: Club de Estudiantes) aus Tetouan, an. Doch Azrou konnte per Kopfballtreffer in Führung gehen und die Gäste danach unter Druck setzen. Die kamen mit einem glücklichen Freistoßtor gegen den schwachen Heimtorwart zum Ausgleich. Ausgeglichen war dann auch der weitere Spielverlauf. In der zweiten Hälfte gab es einige schöne Torszenen auf beiden Seiten, aber wie gesagt war das Match sehr ausgeglichen, was zu einigem Blockieren im Mittelfeld führte. Eine Viertelstunde vor dem Abpfiff gelang dann der Heimelf unter großem Jubel ein Heber aus 15 Metern über den Torwart der das entscheidende 2:1 herstellte. Es gab zwar doppelt so viele gelbe Karten wie Tore, aber an sich war das Spiel fair und außer etwas Meckern und mal etwas Pöbeln von den Rängen war die Atmosphäre wirklich entspannt.  
Statistik:
- Grounds: 1.058 (heute 1 neuer; diese Saison: 87 neue)
- Sportveranstaltungen: 1.967 (heute 1, diese Saison: 111)
- Tageskilometer: 190 (190km Auto)
- Saisonkilometer: 31.330 (30.280 Auto/ 1.000 Fahrrad/ 40 Schiff, Fähre/ 10 öffentliche Verkehrsmittel/ 0 Flugzeug)
- Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 1 [letzte Serie: 23, Rekordserie: 178]
- Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 389

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