Freitag, 14. September 2012

W319III: Balkantour 2012 – Tag 13 = Bericht (13)

| Angenehme Freundlichkeit und unangenehme Flexibilität im Kosovo | 

Photos with English Commentary:
 
Es dauerte eine Weile, ehe wir in Kukës gen Kosovo aufbrachen, doch das war kein Problem. Es sind nur 15 Minuten Fahrzeit bis zur Grenze und dann schlängelt man sich an 3km LKW-Kolonne vorbei zur linken Spur. Man muss eine 30€ teure Kurzzeitversicherung (14 Tage Gültigkeit) abschließen und seinen Pass stempeln lassen. Die kosovarischen Zöllner waren alle ausnahmslos freundlich, englisch- und teilweise auch deutschsprachig und durchweg kompetent, doch man hörte schon an der Grenze die ersten kritischen Töne: Nicht etwa gegen Serben oder irgendwen, sondern gegen das eigene Land. Es gebe doch gar keine schönen Orte hier, meinte der eine besonders freundliche Zöllner.

Dass diese Aussage übertrieben war, merkt man bereits 15km hinter der Grenze, wenn man von der Autobahn in die unübersichtliche aber sehenswerte (wahrscheinlich auch sehenswerteste, ganz sicher aber zweitgrößte) Stadt des Kosovo abfährt. Prizren. Östlich vom Fluss liegt die Altstadt mit ein paar Privathäusern im osmanischen Stil, einer sehr sehenswerten da innen schön verzierten osmanischen Moschee namens Sinan Paşa Camii, einer polizeilich gesicherten orthodoxen Kirche und dann weiter oben am Berg erst ein interessantes, aber halb in Ruinen liegendes Kloster und dann eine schön die ganze Stadt überblickende Burgruine.

Vereinzelte Zerstörungen und die Präsenz von Militärkräften erinnern einen zwar an die politisch angespannte Lage, doch für die vorhandenen Probleme bekommt man erst wirklich ein Gespür, wenn man mit den Leuten redet – auf den ersten Blick sind die Orte im Kosovo zwar etwas dreckig und heruntergekommen, doch nicht schlimmer als anderswo im Südosten Europas. Vom Städtebaulichen und Infrastrukturellen her machte Kosovo sogar einen besseren Eindruck als Albanien oder Bosnien.
IMG_8793 Im Laufe des heutigen Tages sollte sich wirklich alles, was ich von Reisenden, Groundhoppern, Bundeswehrsoldaten usw. an Negativen über das Kosovo gehört habe, als falsch erweisen. Außer zwei Dinge: Die Fußballliga ist nicht vernünftig organisiert (absolut zutreffend) und das Land ist ein sinnloser, nicht überlebensfähiger Staat (lässt sich schwer negieren).

Zuerst einmal muss man festhalten, dass die Kosovo-Albaner im Gegensatz zu ihren Landsleuten im eigentlichen Albanien mehrheitlich Fremdsprachen zumindest rudimentär, erfreulich oft sogar sehr gut beherrschen. Zudem freuen sich einige wirklich über jeden Fremden den sie sehen. Dass man von völlig fremden Leuten gegrüßt und als Höflichkeitsfloskel nach dem Befinden gefragt wird, habe ich sonst meist nur in arabischen Ländern erlebt. Albanien-Albaner behaupten über Kosovo-Albaner gerne, dass sie zu religiösem Fanatismus neigen und rückständig seien – in der Tat sind albanische Salafisten auch nie in Albanien selbst, sondern nur in Makedonien und Kosovo anzutreffen – doch auch im Kosovo wirkten die allermeisten Leute sehr westlich. Beim Mittagsgebet machte sich kaum einer in Richtung Moschee auf und dass in Schülergruppen Mädchen mal mit langen Blusen, Röcken und Kopftüchern, mehr aber mit Minirock und T-Shirt rumliefen und dann auch alle bunt gemischt, legte den Schluss nahe, dass auch im Kosovo jeder glauben und leben kann was ihm gefällt.

Die angebliche Strenge und Rückständigkeit des kosovarischen Islam und der kosovarischen Gesellschaft schien mir maßlos übertrieben. Natürlich sind die Leute konservativer als in Deutschland oder Skandinavien oder Benelux – aber wie die durchschnittlichen Syrer oder Omaner schienen die Durchschnitts-Kosovaren bei allem Konservativismus die angenehmeren, höflicheren und sympathischeren Menschen zu sein, als die durchschnittlichen Mittel-/ West- oder Nord-Europäer. Und blöder waren sie schon mal gar nicht! Jeder Syrer, den ich kenne, weiß, dass sein Land ein richtig schönes (vielleicht das schönste überhaupt) ist, aber dass sich was ändern muss, damit es politisch, sozial und wirtschaftlich aufwärts geht. Im Gegensatz dazu habe ich nur zwei Inder getroffen, die kritisch denken konnten und ihr beschissenen Land nicht völlig übertrieben hochgejubelt haben. Heute habe ich viele Kosovaren getroffen, die auf meine Antwort auf ihre Frage „Wie gefällt es dir hier“ => „Gut, besonders Prizren war schön“, gleich meinten: „Ja es ist schon ganz schön hier, aber die Situation in Sachen Politik und Arbeit ist schlimm und unser Land entwickelt sich nicht nach vorne“. Sie verdammten ihr Land ja nicht gleich, doch alle meine Gesprächspartner waren unheimlich kritisch gegenüber der Entwicklung des Kosovo und fürchteten auch, dass man Touristen nicht viel bieten könne. Aber wenn ich bedenke, wie viel mehr Kosovo bietet als Moldawien oder Finnland…

Die Sehenswürdigkeitendichte ist zwar ziemlich niedrig, aber immerhin etwas höher als in den anderen beiden aufgezählt Ländern oder in Liechtenstein oder Norwegen. Und es sind schon allein die höflichen Leute, die Kosovo viel angenehmer als Moldawien, Finnland usw. machen: Die kühlen, unfreundlich Finnen und die verbitterten Moldawier haben den höflichen und gastfreundlichen Kosovo-Albanern gar nichts entgegenzusetzen. Auch wenn man mal mit Albanien selbst vergleicht: Auffällig viele Kosovo-Albaner wissen es zu schätzen, wenn man sich für ihre Sehenswürdigkeiten und ihren Fußball interessiert. Nirgendwo in Albanien hat mich eine Gruppe älterer Männer gegrüßt und gefragt wie es mir geht, nur weil ich mal eine Kirche fotografiert habe, wie in Prizren. Dort kam ich auch sofort mit zwei Oberstufenschülerinnen ins Gespräch, die sich mit mir in Deutsch und Englisch unterhielten, da sie diese Fremdsprachen in der Schule in Prizren lernen. Beim Fußballplatz in Glogoc bereiteten die beiden Platzwarte die Anlage für den morgigen Tag vor und empfahlen mir, wenn ich mich für den einheimischen Fußball interessiere, doch in einem anderen Ort zu gucken und dann morgen in Glogoc. Dass auch das Spiel in Vushtrri erst Donnerstag stattfand, hatten sie auch nicht gedacht. Aber auch in Vushtrri waren die Vereinsleute unheimlich freundlich. Völlig entgegen der Horrorgeschichten über fadenscheinige Vereinsbosse in Prishtina, die ein Groundhopper im Forum mit einem offensichtlich übertriebenen Randale-Spielbericht verbreitet hat, konnten mein Vater und ich uns eine ganze Weile mit zwei Platzwarten unterhalten, die mal in Deutschland gearbeitet haben. Auch sie waren kritisch gegenüber der Entwicklung des Kosovo und luden uns ein, doch morgen zum Spiel Vushtrri gegen Gjilan vorbeizuschauen (was wir auch taten).

Noch mehr Unsinn, den inkompetente Reisende und Groundhopper ins Netz stellten: „Die Lebenshaltung im Kosovo ist hoch, die Preise für Essen und Herbergen mitteleuropäisch und für viele Hotels muss man 100€ und mehr bezahlen“. Hallo, habt ihr den Arsch offen, ihr Wichser?! Lebenshaltung ist nicht nur Benzin, was wie Diesel auch bei knapp 1,40€ wirklich hoch liegt! In Peć haben wir zu zweit für je einen fetten Teller Grillfleisch mit Salat und Weißbrot sowie mittlere Cola zusammen 9€ bezahlt. Auch Lebensmittel- und Getränkeläden waren deutlich unter deutschem Preisniveau. Und das „Hotel Park“ in Peć verlangte für ein zwar sehr kleines und altes, aber sauberes und ordentliches Zimmer 20€. Von zuverlässigeren Leuten weiß ich auch, dass das beste Haus am Platze gerade einmal zwischen 60€ und 70€ für ein Doppelzimmer der Viersternekategorie verlangt – für einen Standard der in Deutschland locker 100€ kosten würde.

In diesem Hotel Park konnten übrigens alle Deutsch und wir hatten die nächsten interessanten Gespräche. Es waren nämlich gerade deutsche, schweizerische und albanische Monteure und Handwerker im Haus. Ein Albaner aus Peć, der lange in der Schweiz lebte und entsprechendes Deutsch sprach, erzählte uns im Verlauf des Gespräches sogar noch – und das ohne jeden Groll gegen die Serben, sondern völlig gefasst – dass sein Vater von Serben im Gefängnis ermordet wurde. Im Knast war er auch nur, da er für Autonomie des Kosovo auf der Straße demonstriert hatte. Serben und ihre engsten Freunde würden so eine Darstellung natürlich leugnen, aber ich kenne nun mittlerweile alle möglichen Seiten des Balkans und seiner Konflikte: Wer etwas Anderes behauptet, als dass die Serben die größte Aggressoren sind und die schlimmsten Verbrechen begangen haben, muss schon völlig gehirnamputiert sein.

Trotz Verlegung des Fußballspiels und nur zwei Stunden richtigem Sightseeing muss man diesen Tag doch als gelungen bezeichnen. Fußball gab es schließlich am nächsten Tag und zuvor auch mehr Sightseeing!
IMG_8803 Statistik:
Grounds: 789 (heute kein neuer; diese Saison: 21 neue)
Sportveranstaltungen: 1.602 (heute keine, diese Saison: 25)
Tageskilometer: 290 (290 Auto)
Saisonkilometer: 8.370 (7.780 Auto/ 510 Fahrrad/ 80 Schiff, Fähre/ 0 Flugzeug/ 0 Bahn, Bus, Tram)
Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 136
Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 319

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