Dienstag, 23. März 2010

W188-SY12: Für manchen Zuschauer waren wir interessanter als das Spiel – Fußball im Bezirk Idlib

Nady Saraqib Ar-Riyadhiy (نادي سراقب الرياضي) - Nady Murak Ar-Riyadhiy (نادي المرك الرياضي)
Freitag, 5. März 2010 - Anstoßzeit 14.00
Daury As-Suriyy Ad-Daradja Ath-Thaniyya (دوري السوري الدرجة الثانية) - Zweite Syrische Fußballliga: Halbprofiliga
Ergebnis: 2:1 nach 93 Min. (46/47) - Halbzeit 0:0
Tore: 1:0 52. Saraqib, 1:1 69. Murik, 2:1 81. Saraqib
Verwarnungen: 1x Gelb für Murik
Platzverweise: keine
Spielort: Malaab Nady Saraqib Ar-Riyadhy (ملعب نادي سراقب الرياضي, Kap. 400 Stehplätze)
Zuschauer: ca. 2.000 (davon vllt. 10 Gästefans)
Spiel: 8,0/10 (Gutes Spiel in genialer Atmosphäre)
Sightseeing: 8,5/10 (Tolle Altstadt Aleppos, kaum erhaltene Ruinenstadt Ebla)
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ALEPPO: http://www.flickr.com/photos/fchmksfkcb/sets/72157623659604202/

THE MATCH and Ebla: http://www.flickr.com/photos/fchmksfkcb/sets/72157623535307187/

Schon um 7 Uhr waren wir in die Altstadt gegangen. Mit ein paar Bögen liefen wir durch die fast menschenleeren Gassen mit ihren oft zweifarbigen (dunkelgrau und dunkelgelb) Häusern mit den Holzverschlägen, durch leergefegte Märkte, vorbei an großen Kirchen und noch größeren Moscheen, zur Hauptsehenswürdigkeit der Altstadt; der Zitadelle. Diese ist für 150 Pfund, Stundenten mit ISIC wie immer nur 10 Pfund, zu besichtigen, was man bei einem Aufenthalt in Aleppo auch unbedingt tun muss. Schon allein das doppelte Eingangsportal ist atemberaubend. Der Mauerring ist komplett geschlossenen und bildet eine durchweg mehrere Meter hohe Mauerkrone für den enormen Zitadellenhügel, in dessen Burggraben Kinder Fußball spielten. Heute war übrigens recht viel los: Paare, Familien, Kinder – mehr als 100 Besucher gingen mit uns auf einmal in die Festungsanlage. In der Zitadelle befindet sich ein Museum, das extra kostet (haben wir nicht besucht), ein eindrucksvoller Bankettsaal im zweiten Eingangsturm, zwei kleine Moscheen, mehrere Häuserruinen, ein römisches Theater, was restauriert wurde, ein Bad und ein Café. Die Gebäude sind alle extrem verwinkelt und man stellt sich immer wieder die Frage: „War ich hier eigentlich schon in diesem Gebäude?!“

Nach einer Dreiviertelstunde Autofahrt waren wir in Tell Mardikh wo sich die Ruinenstadt Ebla befindet. Diese Stadt war um 3.000 v. Chr. eine bedeutende syrische Königsstadt und ein Stadtstaat. Schon vor 2.000 v. Chr. zerstörten die Hettiter die Stadt. Heute sieht man nur den gewaltigen Erdwall (Mauerring) um den ebenfalls gewaltigen Siedlungshügel herum. Von den vielen Gebäuden sind nur Grundmauern erhalten, weswegen 150 Pfund für die normale Karte eigentlich zu viel sind.
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In der nächsten größeren Ansiedlung, Saraqib, einer Kleinstadt mit höchstens 30.000 Einwohnern, wird Zweitligafußball gespielt. Heute war der Klub aus Murak zugast, einer noch kleineren Stadt 30km südlich von Saraqib. Während die Heimmannschaft aus dem Bezirk Idlib kommt, ist die Gastmannschaft im Bezirk Hama zuhause. Das Stadion von Saraqib ist ein Kunstrasenplatz mit drei Meter hohen, grün gestrichenen Zäunen auf vier Seiten, Nadelbäumen auf zwei Seiten, einem hohen Laubbaum und einem fünf Meter hohen Flachdachgebäude auf der einen Längsseite und einigen anderen Gebäuden um einen Parkplatz herum auf der anderen Längsseite. Wir platzierten uns auf der vor letztgenannter Seite befindlichen zweistufigen Tribüne. Übertrieben freundlich war der Kassenwart, der keinen Eintritt (50 Pfund/ 0,80€) von uns wollte. Da die Tribüne nur 400 Leute fasst, hockten sich hunderte Fans auf die Dächer und auf den Zaun. Die Geschicktesten hatten ihre Autos und Lastwagen am Zaun geparkt, um vom Dach aus zu gucken. Einer hatte sogar seinen Traktor samt Gülleanhänger vorgefahren. Die aktiven Supporter von Saraqib standen auf dem Dach auf der Gegenseite. Noch vor Anpfiff gab es da ein kleines Handgemenge.

Auch noch vor Anpfiff mussten wir schon den ersten Kindern Rede und Antwort stehen, woher wir sind (in Idlib meinen viele erstmal, dass jeder Fremde Türke sei – liegt auch am nächsten und türkische Groundhopper gibt es ja mittlerweile auch; und die fahren auch gerne mal nach Syrien – weswegen deutscher Besuch besonders erfreut aufgenommen wird) und was wir hier machten.
Im Mittelkreis wurden direkt vor dem Anstoß einige Säcke mit Tauben geöffnet. Die Tauben flatterten recht geordnet durchs Stadion und dann sicherlich wieder in den Ort zum Züchter.
Dann fing das Spiel an und die Gastgeber begannen nach 10 Minuten Druck aufzubauen. Nach und nach kam auch Murak mal zum Zuge, nur das Tor trafen beide nicht. In einem ordentlichen Spiel stand es noch 0:0, wobei ich ob des Spielstandes eine Szene vor der Pause bedenklich fand: der Gästetorwart schund übelst Zeit mit hin und her und zu sich selbst spielen und schließlich den Ball aufnehmen, was ihm dann Sprüche – fast so wie in Deutschland – einhandelte; „...Haris ash-shormuta“ – „...Torwart du Hure(nsohn)“.

In der Pause, in der mehr als 100 Kinder das Feld stürmten um darauf zu kicken, hatten wir beiden Deutschen es mittlerweile zu Berühmtheit gebracht und bis zu 20 Leute scharten sich um uns, um uns kennenzulernen. Darunter auch der Ersatztorwart von Saraqib und Saa’d ad-Din, der Deutsch an der Uni von Halab lernt, um Humanmedizin in Deutschland zu studieren. Er wartet noch auf die Bürgschaft, ehe es in Duisburg oder Essen los geht. Saa’d stellte sich den Rest des Spieles zu uns. Nach der Pause erhöhte Saraqib den Druck wieder und erzielte auch das ersehnte 1:0. Danach machten die Gäste, die das Hinspiel 4:1 gewonnen hat, deutlich mehr und erzielten mit einem Fallrückzieher gegen die Laufrichtung des Torwarts den Ausgleich. Das Spiel wurde etwas härter, doch nie heftig. Zehn Minuten vor dem Ende dann ein toller Sturmlauf von Saraqib; die erste Attacke vergeben, doch die zweite dann im Tor untergebracht. Die ersten Zuschauer stürmten das Feld. Mittlerweile hatte sich auch ’Amar zu uns gesellt, der in Nordhausen und Jena studiert hat und nun wieder nach Syrien zurückgekehrt ist. Er lud uns beide und Saa’d in sein Restaurant ein.

Kurz vor Abpfiff stellten sich schon mehrere hundert Leute an die Seitenauslinien und forderten den Abpfiff. Nach diesem liefen sie, teils Böller werfend, aufs Spielfeld und feierten ausgiebig ihre Mannschaft. Besonders der Trainer wurde hochgehoben und gefeiert. 2:1 war der verdiente Endstand für die Kleinstadtkicker aus Saraqib.
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’Amars Restaurant an der Autobahn ist ziemlich eindrucksvoll: vor allem die riesigen Kinderspielanlagen wie ein Riesenrad, von denen es erstaunlich viele in Syrien gibt, fallen auf. Vieles befindet sich noch im Bau. Wir ließen uns dann für eine Weile bei Tee und Wasser nieder und sprachen über syrische Altertümer, Fußball und Studium. Adressen wurden natürlich auch ausgetauscht. Wenn der gleichaltrige Saa’d in Deutschland studieren und ich Syrien mein Arabischstudium vertiefen will, muss man natürlich Kontakt halten. Und natürlich lernt man solche prima Leute nicht beim Sehenswürdigkeiten und Ruinen angucken kennen, sondern beim Fußball. Das war irgendwie wieder klar...

In Halab ließen mein Vater und ich den Abend noch in einem kleinen Restaurant ausklingen.

Statistik:
Ground Nr. 398 (ein neuer Ground; diese Saison: 67 neue)
Sportveranstaltung Nr. 962 (diese Saison: 104)
Tageskilometer: 130 (Auto)
Saisonkilometer: 22.560 (15.120 Auto/ 3.000 Flugzeug/ 2.320 öffentliche Verkehrsmittel/ 2.120 Fahrrad)
Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 50
Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 188
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